Prozess gegen Polizisten, Falscher Zeitpunkt, falscher Ort, sueddeutsche Zeitung, 15.07.2020
…Die Bekannte des Journalisten, die noch im Taxi saß und nie als Zeugin vernommen wurde, bestätigt gegenüber der SZ die Darstellung des Journalisten: Die Polizisten seien bereits auf der Straße gewesen. Auch sei der Taxifahrer ausgestiegen, um mit den Beamten zu reden. Ihn haben die Ermittler später ebenfalls nicht vernommen.
Unstrittig ist der folgende Verlauf: Cáceres, dem es nach eigenen Angaben peinlich gewesen sei, dass seine Bekannte auf dem Heimweg aufgehalten wird, fängt eine Diskussion mit den Polizisten an. Platzverweise der Beamten ignoriert er, er sei “renitent” gewesen, räumt er vor Gericht ein, “weil ich die Maßnahme für überzogen gehalten habe”.
Die Lage eskaliert, Cáceres wird von Oliver K. zu Boden gebracht, weil er, so K. vor Gericht, “den Wohlfühlabstand” mehrmals unterschritten habe – und spürt danach Schmerzen im linken Fuß. Er gibt das auch noch in der Nacht an: “Sie haben mich getreten.” Vor Gericht sagen fünf der sechs Beamten aus, keinen Tritt gesehen zu haben, ihn sogar zu 100 Prozent ausschließen zu können. Nur einer sagt, er habe keine freie Sicht auf das Geschehen gehabt. Einige bemerken aber, dass Cáceres humpelt, niemand kann sich die Verletzung erklären. Der angetrunkene Taxigast habe in Gewahrsam genommen werden müssen, sagten die Beamten im Prozess aus, um “weitere Straftaten” zu verhindern, er sei “eine Gefahr für andere Passanten gewesen”. Allerdings habe er keinen Beamten beleidigt oder bedroht, nach dem Zubodenbringen sei er sogar “sehr ruhig und vernünftig” gewesen.
Dennoch bringt ein Gefängniswagen Cáceres schließlich ins Polizeipräsidium, dort wird um fünf Uhr ein Alkoholwert von 0,66 mg/l Atemluft festgestellt. Gegen sechs Uhr am Morgen wird er entlassen. Sein Weg führt ihn ins Krankenhaus, wo die multiplen Verletzungen aus der Nacht aufgenommen und schließlich operiert werden: drei Wochen Krankenhaus, sechs Wochen arbeitsunfähig, bis heute Schrauben im Bein. Cáceres, überzeugt davon, von einem Polizisten, der auf der Uniform den Namen “Oli” oder “Oliver” aufgedruckt gehabt habe, getreten worden zu sein, erstattet Anzeige.
Zahlen belegen, dass solche Anzeigen in der Regel keinen Erfolg versprechen. Laut einer Auswertung der Ruhr-Universität Bochum werden 90 Prozent der Verfahren gegen Polizeibeamte eingestellt, so auch die Ermittlungen nach der Anzeige des Redakteurs. Nur eine Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft in Verbindung mit einem inzwischen erstellten biomechanischen Gutachten, wonach die Verletzung ohne Einwirkung von stumpfer Gewalt auf den Knöchel des Verletzten nicht denkbar sei, führen zu einer Wiederaufnahme – und zur Anklage gegen Oliver K.
Cáceres tritt in dem Verfahren als Nebenkläger auf, sein Anwalt, der Münchner Strafverteidiger Werner Leitner, befragt die Zeugen vor Gericht intensiv. So muss der Angeklagte zugeben, dass er mit jenem Polizisten, der bei der Kripo Bonn den Fall der Kölner Kollegen untersuchte, gemeinsam die Ausbildung absolviert hat. Und die fünf Kollegen und Kolleginnen aus dieser Nacht räumen freimütig ein, sich vor ihren Vernehmungen besprochen zu haben, auch mit dem Angeklagten. Die Vernehmungsprotokolle ähneln sich, sie sind kurz, welche Fragen den Beamten gestellt wurden, geht daraus nicht hervor.
Der Gutachter, der die Verletzungen für die Nebenklage untersucht hat, verfolgt die gesamte Gerichtsverhandlung. Er hört, dass alle Polizisten aussagen: kein Tritt. Auf keinen Fall. Letztlich bleibt der Gutachter dabei, dass die Einwirkung stumpfer Gewalt bei dem schweren Verletzungsbild höchst wahrscheinlich ist, ein Polizeistiefel zum Geschehen passen würde, auch zur Schilderung des Geschädigten, aber nicht zu der des Angeklagten.
…Um sein Urteil zu finden, braucht der Einzelrichter am Amtsgericht Köln keine drei Minuten, er spricht den Angeklagten frei. …