Auf dem Parkplatz der Gerechtigkeit von Heribert Prantl, süddeutsche Zeitung, 24.10.2021
Ob Julian Reichelt oder Sebastian Kurz: Die Unschuldsvermutung ist ein strafrechtliches Kernprinzip, das häufig zweckentfremdet wird. Warum beschuldigte Politiker und Prominente damit nicht davonkommen dürfen.
Thomas Fischer, Rechtsanwalt und Bundesrichter a.D., im Zusammenhang mit der Presseberichterstattung über das Ermittlungsverfahren gegen den Ex-Fußballer Christoph Metzelder:
Aber die Unschuldsvermutung, die sich ausdrücklich in der Europäischen Menschenrechtskonvention findet, ist keine Anweisung für das Denken der Menschen oder für das Meinen von Journalisten. Deshalb ist umgekehrt ihre Verwendung als Beschwörungsformel, mit der man vorgeblich jede noch so wüste Vorverurteilung wieder ins Stadium objektiver Berichterstattung versetzen kann, überaus unehrlich. Es kommt, wie jeder weiß, nicht darauf an, ob ans Ende eines Medienberichts, der die soziale Vernichtung des Betroffenen bewirkt, ein Ablassbrief in Gestalt der Unschuldsfloskel angehängt wird.
Es gibt besonders perfide Formen des Umgangs mit der Unschuldsvermutung. Eine besteht darin, Krokodilstränen über die soziale Ausgrenzung und Freigabe zur öffentlichen Vernichtung zu vergießen, die man selbst betreibt, und noch daraus wieder neues Geld zu ziehen.
Das ist einfach: Parallel zu Nachrichten über Belanglosigkeiten des Verfahrens bringt man das Stück “So weint seine Mutter” oder “Was wird aus seinen Kindern?”
Gemessen an den Vorgaben des Bundesgerichtshofs (BGH, NJW 2016, 3670) liegen die Hürden für die Annahme eines Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung hoch. Für die Betroffenen ist damit meist die Gefahr einer Vorverurteilung verbunden.