Ein Richter plaudert aus
Recht sprechen, nichts leichter als das? Robert Pragst erzählt in seinem neuen Buch, wie Gesetze Richtern die Hände binden und wie der Job als Rechtsprecher wirklich ist. von Tina Groll
Darum geht es: Im Namen des Volkes Recht sprechen – lange hat Robert Pragst darauf hingearbeitet. Nach seinem Jahr bei der Staatsanwaltschaft beginnt der Jurist seine Ausbildung als Richter. Drei Jahre dauert die Zeit als Proberichter, die er zunächst als Betreuungsrichter am Amtsgericht in Berlin beginnt.
Statt in Gerichtssälen in spektakulären Fällen zu entscheiden, fällt er hinter dem Schreibtisch, in Krankenhäusern oder bei Hausbesuchen seine Urteile. Dürfen die Maschinen mit lebenserhaltenden Maßnahmen für einen Schwerkranken abgestellt werden? Kann der über Hundertjährige seine Rechtsgeschäfte noch alleine bestellen oder braucht er einen Betreuer? Und muss der junge Mann, der seine Medikamente absetzt und nichts mehr isst, in der Psychiatrie zwangsweise untergebracht werden?
Jeden Tag landen neue Fälle auf seinem Schreibtisch. Alle drängen, Unterstützung gibt es nicht. Wie soll man bei dem Druck die moralisch richtige Entscheidung fällen? Kaum hat sich etwas Routine eingestellt, wird der Nachwuchsrichter zum Strafgericht versetzt. Dort hat er es mit Kleinkriminellen, Betrügern und Dealern zu tun – und gewieften Strafverteidigern, die nur darauf warten, dass er einen Fehler macht, um daraus dem Gericht einen Strick zu drehen.
In Verurteilt gibt der Richter Robert Pragst Einblicke in den Joballtag als Richter. Er erzählt von absurden Rechtsvorschriften und unsinnigen Gesetzen, von finanziell und personell schlecht ausgestatteten Gerichtsstuben. Aber er schildert auch tragische Schicksale und menschliche Abgründe, die zu Straftaten geführt haben. Und er berichtet von der großen Verantwortung, die richtige Entscheidung zu treffen. Wie weit geht die moralische Verantwortung eines Richters? Was ist ein angemessenes Strafmaß und wie wird man damit fertig, wenn man menschlich anders entscheiden möchte, aber juristisch dem Richter die Hände gebunden sind? Wie schon in seinem ersten Buch Auf Bewährung, in dem Pragst aus seinem Arbeitsalltag als Staatsanwalt berichtete, überzeugt der Autor mit einer gnadenlosen Betrachtung der Wirklichkeit. Richter in Deutschland haben es weniger mit atemberaubenden Kriminalfällen, ausgebufften Bösewichten und Hollywood-reifen Plädoyers zu tun. Stattdessen begegnen ihnen reale Menschen und reale Fälle, die packender als jeder Krimi sind.
Die spannendsten Fakten: Proberichter verdienen nicht viel. Betreuungsrichter verbringen wenig Zeit im Gerichtssaal, dafür umso mehr Arbeitszeit bei Vor-Ort-Besuchen. Verteidiger lieben es, mit dem Gericht Spielchen zu spielen und einen Prozess durch immer neue Anträge (am liebsten Befangenheitsanträge) und detailreiche Zeugenbefragungen in die Länge zu ziehen. Eine juristische Möglichkeit, die Anwälte zu mehr Effizienz zu bringen, gibt es für Richter nicht.
Minuspunkte: Pragst schildert im ersten Teil seines Buches sehr viel aus seinem Joballtag als Betreuungsrichter. Das hat wenig mit dem Buchtitel (“Strafrichter”) zu tun – ist aber dennoch interessant.
Verständlichkeit und Sprache: Obwohl von einem Volljuristen geschrieben, ist die Sprache lebendig, knapp und verständlich. Pragst kommt weitgehend ohne komplexe Fachbegriffe aus, erklärt juristische Vokabeln und nimmt den Leser mit in seine Arbeitswelt. Wie schon in seinem ersten Buch wechselt der Autor zwischen eigenen Anekdoten und einer Kriminalgeschichte ab. Diesmal erzählt er von dem Verfahren gegen zwei Drogendealer. Diese Romanelemente bereichern das Buch.
Bewertung: Verurteilt ist ein spannendes Buch, das seltene Einblicke in einen Beruf gibt, über den viele Klischees bestehen. Pragst räumt mit einigen davon auf.