ABSTURZ, Der Katastrophen-Anwalt, FOCUS Magazin, Nr. 14 (2008), 31.03.2008
Schulden, Offenbarungseid, Strafbefehl: wie der Starkläger Michael Witti sich selbst ruinierte und Mandanten ausnutzte
Es gab Zeiten, da glich sein Leben einem Triumphzug. Einen spektakulären Fall nach dem anderen zog der Rechtsanwalt Michael Witti an Land. Ob Nazi-Verbrechen oder das Seilbahn-Inferno von Kaprun, ob Flugzeugunglücke wie in Überlingen oder Medizinskandale wie jener um das Bayer-Präparat Lipobay – wo auch immer sich Opfer mit Aussicht auf Schmerzensgeld fanden, Witti war zur Stelle.
Vor dem Juristen aus München, der mit Vorliebe Milliarden-Klagen betrieb und dabei Millionen verdiente, zitterten Regierungen und Konzerne in aller Welt. „Manchmal“, sagte der Sport-wagenfahrer 2002, „lehne ich mich zurück und denke: Wow, ich habe genug Geld, um mich zur Ruhe zu setzen.“
Die Kohle ist längst weg, und auch die Ära des glorreichen Anwalts Michael Witti scheint sich dem Ende zuzuneigen. Der 50-Jährige steckt in großen Schwierigkeiten – beruflich wie finanziell. Sein Geschäft könnte miserabler nicht laufen. Selbst bei Unglücken vor seiner Haustür wie dem Halleneinsturz in Bad Reichenhall konnte Witti zuletzt keine Mandate mehr akquirieren. Die juristische Betreuung von Katastrophenopfern ist ein hart umkämpfter Markt.
Nicht nur konkurrierende Anwälte machen Witti, der in den vergangenen Monaten sieben Kilogramm abgenommen hat, das Leben schwer. Wer ihm am meisten zusetzt, sind die vielen Gläubiger, denen er zum Teil sechsstellige Summen schuldet. Noch im Februar hatte der zermürbt wirkende Witti gegenüber FOCUS erklärt, er sei „kein Krimineller“. In seiner Arbeitswut habe er lediglich einige Rechnungen, Strafzettel und Mahnbescheide ignoriert und so letztlich „den Überblick“ über seine „Buchhaltung verloren“. Doch er werde die Probleme in den Griff bekommen und bald wieder „groß angreifen“.
Wenn er da mal nicht irrt. Am 5. März erließ das Amtsgericht München gegen Witti einen Strafbefehl wegen Untreue (Az. Cs 123 Js 12328/06). Das Strafmaß: elf Monate Haft auf Bewährung. Der Paragrafenfuchs hatte knapp 48000 Euro, die er vor Gericht erstritten hatte, nicht an seine Mandanten weitergegeben. Stattdessen zweigte er das Geld „für private oder kanzleibezogene Zwecke“ ab, heißt es im Strafbefehl.
Es war nicht irgendwelches Geld irgendwelcher Leute, das Witti einheimste. Es handelte sich um Rentenansprüche von Juden, die während der Nazi-Herrschaft in Ghettos gefangen waren. Heute sind sie zwischen 75 und 90 Jahre alt und leben in den USA. Von 2003 bis 2006 hatte Witti in Kooperation mit einem New Yorker Entschädigungsbüro für die zehn Opfer Ansprüche zwischen 300 und 23000 Euro durchgeboxt. Die Beträge flossen schließlich auf ein Konto Wittis bei der Bayerischen HypoVereinsbank.
Spätestens im Frühjahr 2006 hätte der Advokat das Geld – abzüglich seines Honorars von knapp 17 Prozent – verteilen müssen. Doch die Mandanten warteten noch anderthalb Jahre später vergebens. Nachdem sie Strafanzeige gestellt hatten, durchsuchten Staatsanwälte im Juni 2007 Wittis Kanzlei.
Was die Fahnder herausfanden, ist nun im Strafbefehl dokumentiert: Witti habe auf Grund „erheblicher Schulden und finanzieller Schwierigkeiten“ das fremde Geld „bewusst“ behalten. Damit nahm er die „konkrete Gefahr in Kauf“, dass seine Mandanten ihre Ghetto-Renten einbüßen. Im Klartext: Gut 60 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur missbrauchte ein deutscher Anwalt das Vertrauen damaliger Opfer. Das Vertrauen von Menschen, die dem Terrorregime entkommen waren und die ihr Leben lang darum gekämpft hatten, eine kleine Rente zu erhalten. Einem Strafverfolger fällt dazu nur ein Wort ein: „Widerwärtig.“
Unter dem Druck der Ermittlungen überwies Witti das Geld schließlich den rechtmäßigen Besitzern. Weil er die Summe selbst nicht aufbringen konnte, half ihm seine Mutter mit einem Privatdarlehen aus. Zur Begleichung anderer Rechnungen reichte der Kredit freilich nicht. Auf mehr als 1,2 Millionen Euro summierten sich die Forderungen seiner Gläubiger im August 2007. Viele von ihnen – darunter das Finanzamt, ein Kreditkarteninstitut und eine Telefongesellschaft – hatten vor Gericht Pfändungsbeschlüsse erwirkt.
Mit einem solchen Titel mochte sich eine frühere Kanzleibeschäftigte, der Witti bis heute 2700 Euro Lohn schuldet, nicht zufriedengeben. Sie bestand darauf, dass ihr Ex-Boss seine finanziellen Verhältnisse offenlegt, und schaltete das Münchner Amtsgericht ein. Am12. März schließlich zwang eine Gerichtsvollzieherin Witti per Haftbefehl, den Offenbarungseid zu leisten. …