Bestandsaufnahme Pflichtverteidigung, Ein Verteidiger, der bellt, wird selten bestellt!
Gibt es Gerichtsfreier, also Rechtsanwälte, die Richter poussieren? Und, gibt es Richter, die sich poussieren lassen?
Ich mache mir insoweit zu eigen, was der Kollege Dr. Adam Ahmed im “Strafverteidiger” 2015, 65 ff. treffend formuliert hat:
Diese praktische Freiheit bei der Auswahl lädt gerade dazu ein, im Zweifel solche Verteidiger zu benennen, welche in der Vergangenheit beim jeweiligen Gericht einen »guten«, weil kontrollierbaren Eindruck hinterlassen haben, mit anderen Worten einen möglichst geschmeidigen, reibungslosen und konfliktfreien Verfahrensablauf garantiert und jegliche sachbezogene Konfrontation mit dem Gericht (ggf. sogar bewusst) gescheut haben. Insoweit ist es daher kein Zufall, dass dann in auffälliger Häufigkeit immer wieder dieselben Rechtsanwälte bestellt werden. Von der einer notwendigen Verteidigung zu Grunde liegenden Idee effektiver Verteidigung bleibt häufig nicht mehr allzu viel übrig. Der Versuch einzelner Anwaltsvereine, den Gerichten mit einer Pflichtverteidigerliste eine breitere Auswahl zu ermöglichen, hat zu keiner erkennbaren Änderung der Auswahlpraxis geführt. Die Listen werden meist nicht beachtet. Gerade mangels vorhandener Transparenz entsteht der Verdacht, dass für die Auswahl des zu bestellenden Verteidigers primär sachfremde Erwägungen, wie die Erwartung reibungsloser Zusammenarbeit mit dem Gericht, Routine, Sympathie oder persönliche Bekanntschaft maßgeblich sind. Es wird gerade der Anschein herbeigeführt, dass der bestellte Verteidiger ein verurteilungsbegleitender Rechtsanwalt ist. Wenn die Bestellung eines Rechtsanwalts vom gegenseitigen Wohlwollen zwischen diesem und dem Gericht abhängt, unterminiert das nicht nur die Akzeptanz der notwendigen Verteidigung selbst, sondern zeigt auch eindrucksvoll die Fragilität des Verfahrens auf und lässt infolgedessen an der Legitimität des Verfahrens erheblich zweifeln. Kehrseite dieser weit verbreiteten »Vergabepraxis« ist es unweigerlich, dass auch das Verhalten bzw. die Qualität der Verteidigung als solche beeinflusst wird und dies nicht zum Positiven. Jedem Rechtsanwalt sei es gegönnt, wenn ihn ein Gericht als Verteidiger bestellt und natürlich wird jeder bestreiten, sich für weitere notwendige Verteidigungen bei Gericht durch eine Anti-Konflikt-Verteidigung zu empfehlen. Allerdings spricht das Geschehen in der Praxis eher dafür, dass der ein oder andere Verteidiger seinen Einsatz doch eher an die Interessen des Gerichts, als an die seines Mandanten anpasst, um auch für zukünftige Bestellungen im Gedächtnis zu bleiben, sich also zu empfehlen. Denn »ein Verteidiger, der bellt, wird selten bestellt!« Noch dazu ist im Zusammenhang mit dem Engagement betreffend Verteidigerbesuche, Terminvorbereitung, etc. immer wieder im Hinblick auf die Kostenerstattung von bestellten Verteidigern selbst zu hören, »es handelt sich ja nur um eine Pflichtverteidigung«. Ein solches Verhalten würde aber letztlich dazu führen, dass der Beschuldigte »verraten statt verteidigt wird«. Dies wiederum nährt die – berechtigten(?) – Vorurteile, der bestellte Verteidiger würde lediglich ein »Verteidiger–Sparprogramm« abspulen.
Somit ist hier an erster Stelle der Gesetzgeber gefragt, endlich eine klare und transparente Regelung zu schaffen, nach welchen Kriterien sich die Gerichte bei der Bestellung eines Verteidigers zu richten haben, und nicht das Recht des Beschuldigten auf effektive Verteidigung durch verfahrensfremde Erwägungen zu untergraben. Demgegenüber gibt es auch eine Alternativkonzeption, die sich dafür ausspricht, den Gerichten die Bestellungsbefugnis zu entziehen und diese den örtlichen Rechtsanwaltskammern zu übertragen.