Entrechtet und betrogen, Von Thorsten Jungholt 21. April 2008
Mehr als eine Million Menschen stehen unter rechtlicher Betreuung – Tendenz steigend. Statt Fürsorge zu bekommen, werden manche skrupellos um ihr Vermögen gebracht. Warum die Kontrolle nicht funktioniert.
Als Olaf O., Rechtsanwalt aus Gütersloh, 1995 vom Vormundschaftsgericht mit der Betreuung von Elfriede Löber beauftragt wurde, betrug ihr Vermögen 1,083 Millionen D-Mark. Der Betreuer selbst legte damals eine Bestandsaufnahme an, die Bargeld, Grundstücke, ein Mietshaus, Möbel und Orientteppiche auflistete. Im Dezember 2004 waren von alldem noch 73 599 Euro übrig – obwohl die laufenden Kosten des Pflegeheims durch Renten und Mieteinnahmen nahezu gedeckt waren. Weitere Bedürfnisse hatte die alte Frau nicht. Olaf O. hatte ihr Vermögen in die eigene Tasche verschoben.Und nicht nur das von Elfriede Löber. Im Oktober 2006 verurteilte die Strafkammer des Landgerichts Bielefeld den betrügerischen Advokaten zu fünfeinhalb Jahren Freiheitsstrafe wegen Veruntreuung in 45 besonders schweren Fällen. …
Die Angehörigen kämpfen bis heute darum, das veruntreute Geld zurückzubekommen. Erst vor 14 Tagen stand O. wieder vor der Zivilkammer des Bielefelder Landgerichts, mit einer bemerkenswerten Verteidigungsstrategie. “Ich habe so viele Straftaten begangen”, sagte er, “dass ich mich an einzelne nicht erinnern kann.”
Zum anderen beklagen Beratungsstellen wie die Bonner Initiative “Handeln statt Misshandeln” (HSM) aber auch die nachlässige Arbeit der Vormundschaftsgerichte. “Es werden viel zu viele unnötige Betreuungen eingerichtet”, sagt HSM-Mitarbeiterin Marita Halfen. Die Gerichte gingen nicht ausreichend gründlich auf den Einzelfall ein, und den betroffenen Menschen werde mit dem Begriff Betreuer oft vorgegaukelt: “Da kommt jemand, der sich um dich kümmert. Aber das ist pure Täuschung. Denn die alten oder behinderten Leute werden de facto entrechtet.” Gegen ihren Willen würden dann Häuser verkauft, Wohnungen und Konten geräumt. Hunderte solcher Fälle liegen auf dem Tisch der Sozialarbeiterin. …
Statt Fürsorge zu geben, wollten einige schwarze Schafe einfach nur Geld verdienen: “Da steht ein Milliardengeschäft dahinter.”
Der Rechtspfleger, der den Gütersloher Betreuer Olaf O. überwachen sollte, hatte 35 Minuten für jeden seiner Fälle – pro Jahr. In der Zeit sollte er meterdicke Akten wälzen und die Notwendigkeit von komplizierten Rechtsgeschäften beurteilen. “Ein Ding der Unmöglichkeit”, sagt der Bielefelder Rechtsanwalt Volker Küpperbusch, der Elfriede Löber bis zu ihrem Tod vertrat und sich jetzt um die Interessen ihrer Erben kümmert. …
Weil O. nun mittellos ist, hält sich Küpperbusch an das Land Nordrhein-Westfalen. Es soll für die gravierende Fahrlässigkeit des Rechtspflegers am Vormundschaftsgericht in Haftung genommen werden – und hat bereits signalisiert, einem Vergleich über 150 000 Euro zuzustimmen.
Bis Mai hat Reinhard Löber nun Zeit, sich zu überlegen, ob er dieses Angebot annimmt. Er wird sich wohl damit zufriedengeben. “Das Geld ist ohnehin nicht mehr als Trostpflaster”, sagt der Sohn. Ihm geht es auch darum, andere davor zu warnen, in die Betreuungsfalle zu tappen. “Fünf Generationen haben hart dafür gearbeitet, unserer Familie ein kleines Vermögen zu schaffen”, sagt Löber. “Wenige Jahre haben ausgereicht, das zu zerstören.” Verantwortlich dafür ist ein Mann, der Elfriede Löber eigentlich helfen sollte – im Auftrag und unter der Aufsicht des Staates.
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