Bremer Bunkermord, Mittäter bisher ungestraft, Radio Bremen, 25.07.2014
Seit mehr als 14 Jahren liegt irgendwo beim Bremer Landgericht eine juristische Zeitbombe: Eine Anklageschrift, unbearbeitet über all die Jahre. Was an sich schlimm genug ist. Erst recht aber, weil die Anklage auf “Beihilfe zum Mord” lautet. Und das im Zusammenhang mit einem der abscheulichsten Verbrechen, die in Bremen jemals begangen worden sind. Den zuständigen Richtern scheint das all die Jahre ziemlich egal gewesen zu sein. Erst jetzt, nachdem buten un binnen sich nach dem Schicksal der Anklageschrift und der Angeklagten erkundigt hat, soll endlich entschieden werden, ob das Hauptverfahren eröffnet wird. Eine Schlamperei mit Folgen: Weil die Umstände der Tat nach so langer Zeit kaum noch zu rekonstruieren sind, könnten vier mutmaßliche Helfershelfer beim sogenannten “Bunkermord” wegen der Untätigkeit der Bremer Justiz komplett straffrei ausgehen.
Am frühen Morgen des 24. August 1999 wird in der Nähe des U-Boot-Bunkers Valentin in Bremen-Farge ein sterbender Mann gefunden. Er liegt in einer Blutlache. Neben ihm steht ein Rollstuhl. Die Gerichtsmediziner werden später bei der Obduktion feststellen, dass der Mann mindestens elf Mal mit einem harten, schweren Gegenstand auf den Kopf geschlagen worden ist. Er hat mehrere Schädelbrüche, Gehirnquetschungen und eine Gehirnblutung erlitten. Außerdem ist er getreten und mindestens zwei Mal mit einem Auto überfahren und mitgeschleift worden. Er hat Abschürfungen am ganzen Körper. Mehrere Zähne sind ausgeschlagen, mehrere Rippen gebrochen, Wangen, Mund und beide Augen unterblutet. Die Polizei entdeckt wenig später im Schlick hinter dem Weserdeich eine Schleifspur. An deren Ende, exakt 73,5 Meter von dem toten Mann entfernt, liegt eine tote Frau. Jemand hat ihr Gesicht so lange in den Schlick gepresst, bis sie erstickt war. Die Toten werden schnell identifiziert. Es sind Ayse Dizim, 24 Jahre alt, und Serif Alpsozman, 23.
Alpsozman ist ehemaliger Kämpfer der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Er ist bei Auseinandersetzungen mit der türkischen Polizei oder Armee angeschossen worden und deshalb querschnittgelähmt. Für die PKK ist er ein Ghāzī, ein Kriegsheld, mit dem die Partei gerne Propaganda betreibt. Zum Beispiel in Deutschland. Alpsozman kommt in Bremen unter, bei der kurdischen Familie Dizim. Und es passiert, was nicht passieren darf: Der Ghāzī verliebt sich in die Tochter des Hauses. Für die Familie geht das gegen die strenge Familienehre und die Regeln der Gastfreundschaft, und für die PKK gegen die ebenso strenge Parteidisziplin. Ayse Dizim und Serif Alpsozman stehen also unter einem gewaltigen Druck – aber sie lassen sich ihre Liebe nicht verbieten.
Gegen den Willen von Familie und Partei heiraten sie heimlich nach kurdischem Ritus und ziehen in eine eigene Wohnung in Bremen-Huckelriede. Dort leben sie sehr zurückgezogen hinter vorgezogenen Gardinen und heruntergelassenen Rollläden. Das junge Liebespaar hat Todesangst. Zu recht, wie sich bald herausstellt. Ende August werden sie abgeholt und in eine Wohnung nach Osterholz-Scharmbeck gebracht. Ganz in der Nähe treffen sich hochrangige PKK-Funktionäre. Mitten in der Nacht fahren ihre Bewacher mit ihnen zum Bunker Valentin. Am Morgen sind Serif Alpsozmann und Ayse Dizim tot – brutal erschlagen und erstickt.
Die eigentlichen Täter werden schnell ermittelt und Ende August verhaftet. Alle drei sind kurdische Yeziden und gehören zum Fußvolk der PKK in Deutschland. Am 9. November 1999 hat Staatsanwalt Frank Repmann die Anklageschrift gegen die drei fertig und reicht sie beim Bremer Landgericht ein. Aber sein Kollege Uwe Picard und die Staatsschutzabteilung der Bremer Kriminalpolizei ermitteln weiter. Sie suchen insbesondere nach Helfern und Hintermännern. Dabei können sie auf sowieso laufende Ermittlungen in Sachen PKK aufbauen. Der Aufwand ist trotzdem beträchtlich. Unter anderem sollen an die 26.000 Telefongespräche abgehört worden sein. Ende Januar und Anfang Februar 2000 werden weitere fünf Verdächtige festgenommen und für über vier Monate in Untersuchungshaft genommen. Nun sollen sich also acht Männer vor Gericht für den Bunkermord verantworten: Die drei Haupttäter und fünf Helfershelfer.
Staatsanwalt Picards Anklageschrift stammt vom 24. April 2000. Ende April oder Anfang Mai geht sie beim Landgericht ein. Die Akte dazu soll 70 bis 100 Stehordner umfassen, die irgendwo im Gericht gelagert sein müssen. In der Anklageschrift werden 130 Zeugen, 40 Urkunden (meist Stehordner) und zehn “Augenscheinsobjekte” (weitere Stehordner, Fotos, Videobänder, Tonbänder) aufgeführt. Die Mordanklage richtet sich nun nicht nur gegen drei, sondern gegen vier Männer. Nach den Ermittlungen hat einer der mutmaßlichen Helfershelfer doch viel mehr mit der Tat zu tun als zunächst angenommen. Deshalb wird neben den drei Haupttätern nun auch der sogenannte Raumverantwortliche der PKK für die Gebiete Bremen-Nord und Stade des Mordes angeklagt. Er soll den drei Haupttätern befohlen haben, das junge Paar zu töten.
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