Das Lesen einer Tageszeitung erinnerte mich an einen unrühmlichen Strafprozess und
machte mich auf ein Buch aufmerksam. Das Buch trägt den bemerkenswerten Titel
„Politische Justiz in unserem Land“. Herausgeber dieses Buches ist der mir persönlich
nicht bekannte Herr Jörg Lang. Verschiedene Autoren, darunter einige KollegInnen
und mindestens ein Richter a.D. haben sich in dem Werk zum Thema „Justiz“ geäußert.
…Für den von ihr angenommen Sachverhalt benannte die Staatsanwaltschaft bei dem
Landgericht Stuttgart drei Zeugen. Es handelte sich um die Damen und Herren Daniela
Burmeister, Hermann Karpf und Werner Wölfle.
Die Angeklagten legten gegen die Strafbefehle erwartungsgemäß Einspruch ein. Es
kam zur Hauptverhandlung. Die Hauptverhandlung führte Herr Richter am Amtsgericht
Gerhard Gauch. Um das Verfahren in I. Instanz abzuschließen, benötigte er
nicht weniger als sieben Hauptverhandlungstage. Ursprünglich hatte er einen so genannten „kurzen Prozess“ anvisiert, der nach einer Stunde oder geringfügig mehr mit
einem Urteil hätte beendet sein sollen.
Es soll in diesem kurzen Beitrag keinesfalls alles beschrieben werden, was sich in
dieser Hauptverhandlung ereignete. Das stichwortartige Protokoll, welches der Autor
in der Hauptverhandlung verfasste, hat immerhin einen Umfang von nicht weniger
als 25 DIN A4 Seiten.
Zu erwähnen ist, dass sich Richter Gauch im Verlauf der Hauptverhandlung mehrfach
so weit von der Strafprozessordnung entfernte, dass mehr oder weniger offen über
„Stuttgarter Landrecht“ gesprochen worden ist. Das Prozessverhalten des Herrn
Richter am Amtsgericht Gauch war derart auffällig, dass sich der Autor als einer der
Verteidiger in einem der Hauptverhandlungstermine nicht davon abhalten ließ, Herrn
Richter am Amtsgericht Gauch zu erklären, es sei nun zu prüfen, ob nicht zu Protokoll
der Hauptverhandlung der Anfangsverdacht der Begehung einer Rechtsbeugung
angezeigt werden müsse. Diese Erwägung führte allerdings nur vorübergehend zu einer
Deeskalation.
Den Hintergründen des angesprochenen Anfangsverdachts soll in diesem Aufsatz
nicht näher nachgegangen werden. Darüber kann sicherlich derzeit im Internet schon
einiges nachgelesen werden. Später wird ausführlich darüber berichtet werden müssen.
Schließlich ging es um inkarnative Auswüchse der politischen Justiz.
Der Gang der Hauptverhandlung förderte zu Tage, dass in der Zeit von 18 Uhr am
10.11.2012 bis um 02.05 Uhr am 11.11.2012 mehrere ranghohe Personen im Rathaus
anwesend gewesen sind. Die konkreten Hintergründe dafür konnten noch nicht aufgeklärt
werden.
Zu diesen „Persönlichkeiten“ soll auch Herr Thomas Züfle gehört haben. Dieser war
in der Zeit von 2011 bis 2013 Polizeipräsident am Polizeipräsidium Stuttgart.
Zu jener Zeit im November 2012 verfügte der CDU-Politiker Michael Föll als Stadtrat
über ein Zimmer bzw. ein Büro im Stuttgarter Rathaus. Herr Föll gilt als Unterstützer
des Bahnprojekts Stuttgart 21.
In dem Bürozimmer des Herrn Föll trafen sich die „Entscheidungsträger“, um über
den Umgang mit den im Saal des Rathauses verbliebenen „Besetzern“ zu verhandeln.
Gesichert ist, dass an dieser Besprechung der Herr Thomas Föll, Herr Werner Wölfle,
Frau Daniela Burmeister, Herr Hermann Karpf und Herr Bürgermeister Dr. Martin
Schairer teilnahmen.
Auffällig und interessant ist indes, dass in der Hauptverhandlung, die Herr Richter
am Amtsgericht Gauch „souverän“ führte, die Angaben darüber, ob auch Herr Polizeipräsident Thomas Züfle an der Besprechung teilnahm, deutlich und in unerklärlicher Weise voneinander abwichen. Es steht nicht einmal fest, welche Bedeutung die Frage seiner Anwesenheit für die vom Gericht zutreffende Entscheidung gehabt haben
könnte.
Bei der Zeugin Daniela Burmeister handelt es sich um eine Beamtin. Einer Veröffentlichung der Stuttgarter Zeitung konnte der Autor entnehmen, dass sie offenbar im Haupt- und Personalamt der Stadt Stuttgart Verantwortung trägt (Stuttgarter Zeitung
vom 23.09.2013).
Sie konnte sich im Hauptverhandlungstermin vom 12.03.2014 sehr gut an die Anwesenheit des Polizeipräsidenten Thomas Züfle erinnern. Allerdings meinte die Zeugin
nach den Aufzeichnungen des Autors, die Zeugen Hermann Karpf, der Polizeipräsident
Thomas Züfle, der Zeuge Werner Wölfle und Herr Bürgermeister Dr. Martin
Schairer hätten sich – jedenfalls zeitweise – in unterschiedlichen Räumlichkeiten aufgehalten.
Eine plausible Erklärung dafür, wie sich die Beteiligten im Rathaus dennoch
abstimmen konnten, ließ sich in der Hauptverhandlung nicht finden.
Im Gegenzug dazu stand die Aussage des Herrn Werner Wölfle. Es handelt sich um
ein besonders beeindruckendes Exemplar der bündnisgrünen Zunft, seines Zeichens
seit 2011 Bürgermeister für Allgemeine Verwaltung und Krankenhäuser von Stuttgart.
Gerade solche Menschen mit einer starken und ausdauernden Muskulatur im
Bereich des Wendehalses sind für ihr nur der Wahrheit verpflichtetes Erinnerungsvermögen Land auf und Land ab bestens bekannt. Im Hauptverhandlungstermin vom 12.03.2014 meinte er zwar, dass „Wahrheit ein komplizierter“ Begriff sei.
Indessen sagte er ausdrücklich, er sei sich „ganz sicher“, dass sich der Zeuge Hermann Karpf und der Polizeipräsident Thomas Züfle zusammen im Bürozimmer des ersten Bürgermeisters Michael Föll aufgehalten hätten, und zwar am 10.11.2012.
Dies steht in einem eindeutigen Widerspruch zu den Aussagen des Herrn Stadtdirektors
Hermann Karpf im Hauptverhandlungstermin vom 19.02.2014. Dieser glänzte
durch noch weiter gehende Erinnerungslücken, in die er schuldlos plumpste, als ihm
von verschiedenen Seiten unangenehme Fragen gestellt worden sind. Zwar hätten
sich ca. 15 Personen im Saal des Rathauses versammelt. An eine Versammlung könne
er sich aber nicht erinnern. Die Leute hätten das Rathaus besetzt halten wollen. Der
Grund dafür sei ihm nicht bekannt. Nein, es sei keine Presse anwesend gewesen. An
Fahnen und Banner habe er keine Erinnerung. Die Versammelten seien aber keine
Fußballspieler gewesen. … So zog sich seine Vernehmung von Erinnerungsschlucht
zu Erinnerungsschlucht hin.
Weiterhin bekundete dieser die Wahrheit liebende Stadtdirektor, dass es in der Tat
eine Besprechung gegeben habe. An dieser Besprechung hätten Frau Burmeister,
Herr Föll, Herr Dr. Schairer, der nicht als Zeuge vernommen worden ist, Herr Wölfle
und er daselbst teilgenommen. Dabei sei Herr Föll der Vertreter des Oberbürgermeisters
gewesen.
Dem Autor ist als Strafverteidiger mit einer fast dreißig Jahre langen Erfahrung während
der Vernehmung des Herrn Stadtdirektors Karpf nach und nach ein Licht aufgegangen.
So kam er auf die Idee, das Aussageverhalten zu ergründen und den Zeugen
nach seiner beruflichen Laufbahn zu befragen. Der Verdacht bestätigte sich. Der gute
Herr Stadtdirektor hatte zum Zeitpunkt seiner Vernehmung schon eine langjährige
Karriere als Polizeibeamter hinter sich gebracht. Sein beruflicher Aufstieg führte ihn
zum Pressesprecher des damaligen Polizeipräsidenten. Also war sein Aussageverhalten
nicht verwunderlich. Seine Ahnungslosigkeit und seine Erinnerungsgräben hatten
zweifellos etwas mit einem beruflichen Werdegang zu tun.
Nun folgte die Frage nach dem an diesem Abend und in dieser Nacht „ganz sicher“
anwesenden Polizeipräsidenten Thomas Züfle. Zwar stellte der Zeuge Karpf nicht in
Abrede, sich an den verstorbenen Herr Polizeipräsidenten zu erinnern, ja ihn überhaupt
zu kennen. So weit so gut, aber wahrgenommen – sehen, hören, riechen, fühlen,
schmecken – habe er Herrn Thomas Züfle an diesem Abend nicht. Keine Wahrnehmung!
Kennzeichen einer politischen Justiz ist u.a., dass das geschilderte Aussageverhalten
für die Betroffenen ohne nachteilige Konsequenzen bleibt. Nicht anders liegt der Fall
in Hessen. Dort werden Polizeibeamte, die sich an rechtswidrigen Freiheitsentziehungen
beteiligen, Unschuldige verfolgen und vor Gericht falsch aussagen, befördert. Sie
können es ohne Not zum Polizeidirektor schaffen.