Herbert Winkler* (* Name geändert ) fiel aus allen Wolken, als er den Brief der “Informa Interessengemeinschaft geschädigter Anleger“ las. Darin warnten die Anlegerschützer vor “großen Gefahren“ bei einem Fonds, in den Winkler 20.000 Euro investiert hatte. Kurz darauf rief ein Informa-Mitarbeiter an und legte nach: Der Fonds stecke in schweren Finanznöten, es bestehe akuter Handlungsbedarf. Ohne einen guten Anwalt sei sein investiertes Geld wahrscheinlich verloren.
Was Winkler zu diesem Zeitpunkt nicht ahnte: Die Informa, die inzwischen unter dem Namen “Institut für geschädigte Kapital- und Immobilienanleger“ auftritt, war keineswegs ein neutraler Anlegerschutzverein, sondern ein Kooperationspartner des Dortmunder Anwalts Hartmut Engler – mit der Aufgabe, Mandate an Land zu ziehen. So sieht es jedenfalls das Landgericht Ellwangen: Am 8. Dezember 2008 untersagten die Richter der Kanzlei Engler & Collegen, weiterhin “über Mitarbeiter der Informa unaufgefordert an Anleger […] heranzutreten“ (2 O 91/07). Das sei unzulässige Anwaltswerbung.
Engler ist nicht der einzige Advokat, der mit fragwürdigen Methoden auf Mandantenfang geht. Massenhaft Anleger kontaktieren und mit großspurigen Versprechen zu Klagen drängen – das ist das Geschäftsmodell mehrerer Kanzleien. Eine lukrative Strategie: Dank hoher Streitwerte können Anlegeranwälte pro Klage locker einige Tausend Euro verdienen.
Und wer viele Kläger findet, ist schnell ein gemachter Mann. Masse statt Klasse, heißt deshalb häufig das Motto; wie im Akkord reichen einige Anwälte schlecht vorbereitete und eilig zusammengeschriebene Klagen ein. Die Erfolgschancen? Scheinbar oft Nebensache. Geld gibt es ja in jedem Fall. …
“Leider gibt es etliche Anwälte, die Anlegern das Blaue vom Himmel versprechen und so in Schadensersatzklagen treiben – ohne nennenswerte Aussicht auf Erfolg“, kritisiert Ex-Innenminister und Rechtsanwalt Gerhart Baum.
…Der Kanzlei Engler kann sich über Mandantenmangel offenbar nicht beklagen. „Da werden Klagen wie am Fließband eingereicht“, berichtet ein Insider.
Überschaubare Qualität. Auch der Münchner Anwalt Volker Thieler schreibt massenhaft Anleger an. Er kooperiert dabei eng mit der “Deutschen Anleger Stiftung“. Dem Anschein nach eine neutrale Organisation – wer die Internet-Seite der Stiftung studiert, hat jedenfalls den Eindruck, es mit völlig neutralen Verbraucherschützern zu tun zu haben. “Wir sind eine treuhänderische Stiftung und damit absolut unabhängig“, heißt es. In der Realität spricht jedoch vieles dafür, dass die Stiftung vor allem ein Instrument ist, um Mandanten für die Kanzlei Thieler zu akquirieren. So berichtete die “Süddeutsche Zeitung“ 2004, dass der Vermieter des Gebäudes, in dem die Stiftung residiert, Kanzleichef Thieler sei.
…Der WirtschaftsWoche liegen einige Briefe der Kanzlei Thieler vor, in denen den Empfängern suggeriert wird, dass sie schnell handeln müssen, um ihr Geld zu retten. Dabei hat das Hanseatische Oberlandesgericht Thieler derlei Geschäftsgebaren bereits 2005 untersagt (5 U 126/04). Wer Anleger ungebeten kontaktiere und andeute, “dass bereits ein Schaden entstanden […] und dass wegen drohender Verjährung umgehendes Handeln erforderlich sei“, verstoße gegen Berufsrecht, so die Richter. Damals hatte Thieler Gesellschafter eines Heizkraftwerke-Fonds angeschrieben und nach Angaben des Fondsinitiators BVT so 153 Mandate akquiriert.Die Qualität der eingereichten Klagen – überschaubar. „Keine einzige“ sei erfolgreich gewesen, teilt BVT mit. Das Landgericht München I wies eine Klage mit den Worten ab: Sie erwecke „den Eindruck gewisser Beliebigkeit, der seine Ursache darin haben dürfte, dass die Klage ohne Einholung hinreichender Informationen erhoben worden sein dürfte“ (28 O 7547/05).
…Klagewütige Anwälte sind nicht nur ein Risiko für deren Mandanten, sondern für alle Anleger. Denn während seriös arbeitende Anwälte noch recherchieren, die Rechtslage prüfen und womöglich über einen Vergleich verhandeln, überflutet die prozessfreudige Konkurrenz die Gerichte bereits mit schlecht vorbereiteten und schlampig formulierten Klagen – was nicht selten für eine negative Grundhaltung der Richter sorgt. Der Düsseldorfer Anwalt Julius Reiter ist überzeugt: „Die voreiligen Klagewellen machen die Rechtsprechung kaputt. Wenn ich die erste Klage einreiche, haben die Richter oft schon Dutzende abgewiesen. Das macht es natürlich nicht leichter.“
…Die Kanzlei Müller Boon Dersch aus Jena hat in den letzten Jahren für rund 1500 Anleger Klagen gegen Manager der Göttinger Gruppe eingereicht, obwohl der Insolvenzverwalter der Gruppe glaubt, dass bei diesen nichts mehr zu holen ist, und keine Ansprüche gegen sie geltend macht. Die ersten sechs Klagen wurden im August abgewiesen: Sie seien in mehreren Punkten unzureichend begründet, urteilte das Landgericht Göttingen (u.a. 2 O 407/07).
…Ebenfalls von Jena aus geht Philipp Wolfgang Beyer, Inhaber der Kanzlei PWB Rechtsanwälte, auf Mandantenfang – bundesweit. Der 49-Jährige steckt hinter mehreren Vereinen: Er ist Vorstand des Deutschen Insolvenzschutzrings, des Deutschen Schutzverbandes gegen Diskriminierung und des Deutschen Verbraucherschutzrings (DVS).
…Nicht viel Wert auf Transparenz legt bisweilen auch der Aktionsbund Aktiver Anlegerschutz (AAA). Der Verein hat in den vergangenen Jahren zu etlichen Informationsveranstaltungen eingeladen. In Briefen an Anleger, die der WirtschaftsWoche vorliegen, kündigte der AAA als Referenten stets den Berliner Anwalt Wolfgang Schirp an. Dabei ist Schirp keineswegs ein unabhängiger Experte, der – wie es den Anschein erweckt – allein aufgrund seiner Fachkompetenz ausgewählt wurde: Er ist vielmehr Mitbegründer des Aktionsbundes.
…Eng zusammen arbeitet Schirp in Sachen VIP mit der Bremer Kanzlei KWAG. Deren Anwälte Jan-Henning Ahrens und Jens-Peter Gieschen zeigten sich besonders klagefreudig. Während sich andere Kanzleien auf Falschberatungsklagen gegen die Commerzbank konzentrierten – die der Hauptvertriebskanal für Fondsanteile war –, fanden Gieschen & Co. neben der ebenfalls verklagten Commerzbank einen Beschuldigten, den kaum jemand auf der Rechnung hatte: die Biederstein GmbH, die „Mittelverwendungskontrolleurin“ der Fonds VIP 3 und VIP 4.
Doch die 343 Klagen, die die KWAG und ihre Vorgängerkanzlei KTAG im Namen von Anlegern gegen Biederstein eingereicht haben, wurden ohne Ausnahme abgewiesen. Und zwar nicht nur von einem einzigen Richter, sondern von verschiedenen Senaten des Landgerichts München I. Auf die Berufungen, die die Klägeranwälte wie am laufenden Band einlegten, reagierte das OLG München mit zahlreichen „Hinweisbeschlüssen“, in denen die Richter zur Rücknahme der Berufung rieten – bisher in mehr als 100 Fällen. „Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen“, heißt es etwa im Verfahren 23 U 3306/08, und empfehle deshalb dringend, sie zurückzunehmen – „auch aus Kostengründen“.
…Obwohl bis zum 18. Februar 2008 bereits 150 Klagen in erster Instanz abgewiesen worden und 67 abschmetternde „Hinweisbeschlüsse“ in zweiter Instanz ergangen waren, haben KWAG-Anwälte danach noch weitere 22 Klagen gegen den Mittelverwendungskontrolleur eingereicht.
…Kein gutes Licht auf die KWAG-Anwälte wirft eine Verhandlung im Landgericht München am 3. Juli 2008. Richter Oliver Schön hatte den Kläger persönlich vorgeladen und ihn laut Gerichtsprotokoll gefragt, ob dieser überhaupt von der Klage gegen den Mittelverwendungskontrolleur wisse. Als der Anleger mit Nein antwortete, sagte Schön, damit bestehe der Verdacht, dass seine Anwälte eine Straftat begangen hätten. Die KWAG-Anwälte – die sich bei dem Termin von einer Kollegin aus München vertreten ließen – bestätigen den Vorfall, betonen aber, dass es sich um ein Missverständnis gehandelt habe und dass der Kläger sehr wohl „eine Vollmacht zur Durchführung dieses Klageverfahrens“ unterschrieben habe.