Gerichtsöffentlichkeit: OVG Berlin-Brandenburg: Personenkontrollen sind kein Problem, VG-Wiesbaden: Kameraüberwachung als Problem in Gerichtsgebäuden, 05.06.2010
Telemedicus macht auf neue Entwicklungen im Bereich der Videoüberwachung in bzw. an Gerichtsgebäuden aufmerksam: Es gibt neue Urteile in dem Bereich, die aber leider unergiebig sind. Zur Erinnerung: In deutschen Gerichtsgebäuden bzw. “Justizzentren” wird die Videoüberwachung (aber auch die allgemeine Kontrolle) von Personen sehr aktiv ausgebaut, sicherlich auch vor dem Hintergrund jüngster Übergriffe in deutschen Gerichtssälen.
Nun gilt in Deutschland das Prinzip der Gerichtsöffentlichkeit, das heißt: Gerichtsverhandlungen sind grundsätzlich (also mit Ausnahmen) jedermann zum Zutritt frei. Eine Verletzung dieses Grundsatzes ist ein Rechtsfehler. Immer häufiger tritt aber das Argument auf, dass manche Kontrolle in Gerichtssälen derart aktiv bis hin zu aggressiv ist, dass interessierte Prozessbeobachter sich davon abgehalten fühlen könnten. Wenn dem so wäre, könnte der Grundsatz der Gerichtsöffentlichkeit verletzt sein. Diese Überlegungen und Entwicklungen sind noch relativ neu, bisher gab es vor allem zwei Urteile bzw. ein Urteil und ein Beschluss: einmal vom OVG Berlin-Brandenburg und vom VG Wiesbaden. Dank Telemedicus stehen nun zwei weitere Beschlüsse (AG Meldorf) sowie ein Urteil (LG Itzehoe) zur Verfügung. Im Fazit aber ist man nicht schlauer, es zeigt sich vielmehr, dass die mitunter durchaus grenzwertige Praxis in Zukunft zu einigen Rechtsfragen führen wird.
Das Landgericht Itzehoe (1 T 61/10) zitiert alleine das Urteil des OVG Berlin-Brandenburg und macht mangels echter Auseinandersetzung das gleiche, was ich schon beim OVG kritisiert habe: Es geht zu kurzsichtig und pauschal vor, wenn es feststellt:
Die Videoüberwachung im Eingangsbereich des Amtsgerichtsgebäudes in Meldorf könnte allenfalls eine psychische Zutrittsbeeinträchtigung darstellen. Aufgrund der allenfalls geringen Eingriffsintensität stünde sie einer physischen Zutrittsverwehrung jedoch nicht gleich, so dass damit eine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes nicht einherginge.
Wenn man überlegt, ob sich ein Beobachter abgehalten fühlen könnte, geht es ja gerade alleine um psychische Einflußnahme. Man muss sich also ganz besonders damit auseinandersetzen, welche Schwellen man sieht und wann die überschritten wären. Solange man – wie das OVG Berlin-Brandenburg und nun das LG Itzehoe – diese Auseinandersetzung vermissen lässt, macht man nur deutlich, dass man sich alleine vom Ergebnisorientierten Arbeiten hat leiten lassen. Das ist letztlich Schade, denn Kontrollen werden in irgendeiner Form sicher sein müssen – und die Rechtsprechung wird sich schlicht mit der Frage auseinandersetzen müssen, wo man eine Schwelle setzt, an der sich Maßnahmen zu orientieren haben.
Beim AG Meldorf gab es zwei Beschlüsse (81 C 305/10 vom 18.5.2010 und vom 20.5.2010), die inhaltlich – nicht zuletzt auf Grund der Liebe zum Detail – erheblich überzeugender sind, aber leider (wie die “andere Seite”) die Auseinandersetzung mit der entgegengesetzten Rechtsprechung vermissen lässt. Letztlich stellt das AG Meldorf eine Verletzung der Gerichtsöffentlichkeit fest, wobei es vollkommen zu Recht feststellt:
Mit der Werteordnung des Grundgesetzes und dem Zweck des § 169 GVG wäre es jedenfalls unvereinbar, die Gerichtsöffentlichkeit pauschal als “gesteigertes Risiko” zu betrachten.
Eben dies ist der springende Punkt: Will (und darf!) man eine Öffentlichkeit grundsätzlich als Risiko betrachten – oder ist dies bei der Gerichtsöffentlichkeit schlicht nicht möglich? Jedenfalls zur Zeit finde ich die vom AG Meldorf und VG Wiesbaden verneinde Ansicht sehr viel überzeugender.