Grossmutter bei Richter Wendel in Giessen vor Gericht. Strafe, weil diese sich auf ihr zustehendes Zeugnisverweigerungsrecht berief, Giessener Zeitung, 24.08.2012
Am 22. August 2012 verurteilte das Strafgericht Gießen unter Leitung von Richter am Amtsgericht Michael Wendel auf Antrag des Staatsanwalts (StA) Dr. Philipp Stein die Großmutter von 7 Enkeln wegen „psychischer Beihilfe“ zur Kindesentziehung zu 20 Tagessätzen à 15 Euro. Eine alltägliche Story?
Was den Fall zunächst interessant macht, ist, daß es bis zuletzt strittig war, ob es jemals eine Kindesentziehung gegeben hat; sicher war nur, daß eine solche unter keinen Umständen gemäß den Vorstellungen der Anklage stattgefunden haben konnte. Deshalb war schon fünf Wochen zuvor das Verfahren gegen den Hauptangeklagten und Vater der Kinder eingestellt worden. Die Gießener Allgemeine hatte hierüber am 19.07.2012 berichtet [1].
Nun sah es aber das Gericht als „erwiesen“ an, daß (Entziehung hin oder her) die Großmutter auf alle Fälle „Beihilfe geleistet“ hatte – wohlgemerkt: zu einer Tat, an deren Ahndung die Öffentliche Anklage kein Interesse mehr hatte.
War es die „Tat“, oder die Personen, die zu solch kuriosen juristischen Konstruktionen führten? …
…Wegen des (Zitat aus den Akten) „verschwundenen“ Autos wurde zum 1. Juli 2010 die Durchsuchung der Wohnung der verdächtigten Großmutter befohlen; und weil sie nicht dort angetroffen wurde, erweiterte der damals zuständige Staatsanwalt, Alexander Maruhn, die Suche nach den Kleinkindern und ihren Spuren auf die Wohnung ihres Lebensgefährten – ohne Durchsuchungsbefehl. Möglicherweise hat dabei keine Rolle gespielt, daß dieser zuvor herbe Kritik an dem seiner Meinung nach herrschenden Desinteresse der Gießener Ämter an Fällen sexuellen Kindesmißbrauchs geübt hatte. Dem Vernehmen nach hat sich danach die Karriere des innovativ (d.h.: ohne richterlichen Befehl) handelnden Staatsanwalts sehr vorteilhaft entwickelt. Weitere Durchsuchungen und unerwartete Verdächtigungen im Umfeld aller Vorerwähnten gab es auch nach der Rückkehr des Vaters und der Kinder just an jenem 1. Juli 2010.
…StA Stein beantragte [3], die Beweisanträge abzuweisen und Frau J. zu verurteilen, weil sie nicht bereit sei, sich (Zitate) zu „fügen“ und zu „unterwerfen“. Dem war erneut durch die Beklagte entgegenzutreten (lesen SIe selbst [4]). Deshalb, so StA Stein weiter, müsse ihre Tat (300 Euro, s.o.) als Selbstjustiz angesehen werden. Indem sie nicht preisgegeben habe, wo sich ihr Sohn, Herr M., während seiner Abwesenheit befunden habe, habe sie sich strafbar gemacht. Dem Argument schloß sich Wendel an.
Hämisch grinsend wies Richter Wendel Frau J. darauf hin, daß eine Berufung oder Revision innerhalb einer Woche erfolgen müsse. Je nach Sichtweise des Oberlandesgerichts Frankfurt / Main könnte sich somit die Sache bis hin zum Bundesverfassungsgericht oder zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hinziehen.