Warum starb der Asylsuchende Ouri Jallow in einer Dessauer Polizeizelle? Und wer trägt die Schuld dafür? Das Landgericht Magdeburg muss sich nun mit dem hochumstrittenen Fall beschäftigen. Es ist eine mehr als schwierige Aufgabe.
Die Richterin Claudia Methling, die der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Magdeburg vorsitzt, ist eine zierliche Frau. Was sie aber zu bewältigen hat – nämlich den Tod des Asylsuchenden Ouri Jallow aus Sierra Leone aufzuklären – verlangt die Fähigkeiten eines Übermenschen. Denn worüber in den kommenden Wochen und Monaten in Magdeburg zu verhandeln sein wird, sprengt alles, was man für möglich halten kann.
…Gegen 12 Uhr gibt der an der Zellendecke befestigte Rauchmelder erstmals Alarm. Das Signal wird in das Zimmer im Obergeschoss des Gebäudes übertragen, in dem sich der Dienstgruppenleiter mit einer Kollegin aufhält. Später durchgeführte Versuche ergeben, dass das Signal spätestens 90 Sekunden nach der Entzündung eines Feuers ausgelöst worden sein muss. Zehn Sekunden später meldet ein zweites Alarmsignal Rauch. Beide Male unterdrückt der damalige Dienstgruppenleiter und jetzt angeklagte Andreas Sch., 50, die Warntöne.
Statt sich sofort an Ort und Stelle zu begeben, um den fixierten Jallow zu retten, ruft Sch. erst einmal bei seinem Vorgesetzten an mit der Bitte, mit ihm zusammen in den Gewahrsamstrakt zu gehen. Dann nimmt er den Zellenschlüssel, und als der Rauchmelder erneut anspringt, unterdrückt er auch diesen dritten Alarm.
Nach wenigen Schritten in Richtung Untergeschoss kehrt er um, weil er den neben dem Eingang zum Dienstzimmer in einem Blechkasten hängenden Schlüssel für die Fußfesseln vergessen hat. Auf dem Weg zu Jallow weist er einen telefonierenden Kollegen an, ihn zu begleiten. Als man dann endlich bei Zelle 5 ankommt, dringt bereits Qualm aus den Ritzen. Und als Sch. die Tür aufschließt, schlägt ihm und seinem Kollegen beißender, undurchdringlicher schwarzer Rauch entgegen.
Es war zu spät
Sch. ruft nun dem anderen Beamten zu, er soll Hilfe holen. Doch es ist längst zu spät. Der an der Matratze fixierte Jallow hat vermutlich die ersten zwei Minuten nach Ausbruch des Brands nicht überlebt, da sich an der Brandstelle etwa 800 Grad heiße Gase entwickelt haben.
Ein erster Prozess gegen Sch. und den ihn begleitenden Kollegen vor dem Landgericht Dessau wegen Körperverletzung mit Todesfolge im Amt endete im Dezember 2008 in einem von öffentlicher Empörung und Protestdemonstrationen begleiteten Debakel. Das Gericht sprach beide Angeklagte frei – nicht, weil ihre Unschuld festgestellt worden wäre oder die Beweise für schuldhaftes Unterlassen einfach nicht gereicht hätten.
Der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff beklagte in der Urteilsverkündung vielmehr ein “Ende, das aus formalen Gründen sein musste”. Das Gericht habe nicht die Chance gehabt, “das, was man ein rechtsstaatliches Verfahren nennt, durchzuführen”. Polizisten hätten als Zeugen “bedenkenlos und grottendämlich” falsch und unvollständig ausgesagt. Wie frustriert und erbost das Dessauer Gericht gewesen sein muss, lässt sich an den Worten ablesen, die der Vorsitzende öffentlich sagte, als er die Verhandlung schloss: “Ich habe keinen Bock, zu diesem Scheiß noch irgendwas zu sagen.”
Was wird also auf die Vorsitzende Methling zukommen?…