Wahnwitz im Wallander-Land: Ist Thomas Quick alias Sture Bergwall nur ein krimineller Hochstapler?
Darüber schreibt heute Hannes Gamillscheg in der Frankfurter Rundschau:
33 Morde hat Thomas Quick, der seinen Namen inzwischen in Sture Bergwall geändert hat, im Lauf der Jahre gestanden, für acht von ihnen wurde er zwischen 1994 und 2001 zu lebenslanger Verwahrung in einer psychiatrischen Anstalt verurteilt.
Und jetzt sagt Quick: alles nur erfunden. Mit Tränen erstickter Stimme berichtete er einem schwedischen Fernsehreporter, was viele Experten schon lange vermutet hatten: “Ich habe keinen der Morde begangen, für die ich verurteilt wurde, und auch keinen der anderen, die ich gestanden habe. So ist das.”
So bekommt nun ein Fall, den der bekannte Krimiautor Jan Gouillou schon vor sechs Jahren Schwedens größten Justizskandal nannte, eine neue Dimension. Denn stimmen die Vorwürfe, die der Journalist Hannes Råstam im TV-Programm “Dokument von innen” gegen die Ermittler richtete, dann haben Verhörsleiter und Staatsanwalt den geständigen Möchtegern-Täter mit den Informationen gefüttert, die ihm die Geständnisse erst ermöglichten, haben alle Informationen unterschlagen, die gegen Quick als Mörder sprachen und ihn mit jenen Psychopharmaka versorgt, die ihn einerseits von den Drogen abhängig machten und andererseits seine Phantasie beflügelten.
Im Wikipedia-Artikel zu Quick / Bergwall heißt es:
Several principles in the field of law and psychiatry, among them Swedish police professor Leif G.W. Persson, journalist and writer Jan Guillou and secret sources in the Swedish police all claim that Quick is mentally unstable, but not guilty in many, if any, of the crimes he has confessed.
They all describe the case as the “most scandalous” chapter of Scandinavian crime history, calling it the most blazing example of incompetence, naivete and opportunistic work within the police and judicial system.
Dass Quick in einigen, wenn nicht in allen Fällen zu Unrecht wegen Mordes verurteilt wurde, ist nur die eine Seite der skandalös schillernden Medaille.
Die andere Seite ist nicht weniger beunruhigend: In einigen oder vielen der insgesamt 33 Mordfälle dürfte(n) der oder die tatsächliche(n) Mörder durch polizeilichen und / oder justizielle Pfusch weiter auf freiem Fuß sein – und weitere Verbrechen verübt haben.
Die herausragende dänische Kriminalserie “Kommissarin Lund“, die kürzlich im ZDF lief, thematisierte, wie ein “polititisches” Kalkül die Aufklärung von Verbrechen behindern kann.
Der Fall um den schwedischen “Serienmörder” Quick macht erneut deutlich, dass Justizskandale natürlich kein nur deutsches Phänomen darstellen. Das Phänomen ist ein globales und zeitübergreifend. Dort wo nicht oder kaum über Justizskandale berichtet wird, gibt es sie meist auch – nur ist da die Meinungs- und Pressefreiheit meist noch eingeschränkter als in westlichen Ländern.
Justizunrecht und justizieller Pfusch lässt sich nur sukzessive zurückdrängen: durch die kontinuierliche Stärkung von Demokratie und öffentlicher Kontrolle.
Das Internet stellt dabei summa summarum ein emanzipatives Moment dar – auch wenn es von Kriminellen zu ihren Zwecken genutzt werden kann.
Wer weiterhin glauben sollte, in Deutschland werde “sauberer” ermittelt als anderswo, sollte sich die Website zum noch immer offenen Fall des Harry Wörz ansehen. Alle Hervorhebungen in den zitierten Texten sind von uns.