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…Bezeichnend für diese Situation ist eine Entscheidung des Kammergerichts.
Nach Zurückweisung eines Antrags auf Terminverlegung wurde der
Kammervorsitzende abgelehnt. Er machte es sich einfach und wies das
Ablehnungsgesuch gleich selbst zurück, weil es wegen Rechtsmissbrauch
unzulässig sei. Das KG (KGReport 2005, 110) entschied als Beschwerdegericht:
„Die Besorgnis der Befangenheit wird auch nicht dadurch begründet, dass der
abgelehnte Richter das Befangenheitsgesuch selbst als unzulässig, weil
rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen hat.“
Die Begründung dafür hat allerdings einen Haken. Das KG erklärte nämlich
zugleich, die Selbstentscheidung sei unzulässig. Damit stand fest, dass die
Partei Grund für ihre Besorgnis hatte, der Richter sei nicht unbefangen. Um
darum herumzukommen und die Ablehnung gleichwohl als unbegründet bewerten zu
können, führte das KG weiter aus, die fehlende Selbstentscheidung „ ist vor
dem Hintergrund, dass nach § 227 Abs. 4 S.3 ZPO die Entscheidung über eine
Terminverlegung nicht anfechtbar ist, noch vertretbar.“
Damit war ein neuer Auslegungsgrundsatz erfunden: Rechtsverletzungen eines
abgelehnten Richters reichen dann nicht zur Befangenheitsablehnung aus, wenn
sie unanfechtbar sind. Offenbar hatte das KG aber gespürt, welchen
hermeneutischen Unsinn es von sich gegeben hatte. In den Beschlussgründen
hieß es nämlich: „In Zukunft wird das LG in vergleichbaren Fällen jedoch die
Wartepflicht des § 47 ZPO zu beachten haben.“
Es ist schon erstaunlich, zu welchen geistigen Verrenkungen Gerichte in der
Lage sind, um Fehlentscheidungen zu decken!
…Doch nicht einmal das war genug. Durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz
vom 30.8.2004 (JuMoG) ist auch noch die in § 47 ZPO a.F. vorgeschriebene
Wartepflicht ausgehebelt worden. Bis dahin durfte ein abgelehnter Richter
bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Ablehnungsverfahrens nicht mehr
tätig werden, ausgenommen Handlungen, die keinen Aufschub gestatten. Nunmehr
ist es so, dass er bei Ablehnung in der mündlichen Verhandlung weiter tätig
sein darf, um eine Vertagung zu verhindern (§ 47 Abs. 2 S. 1 ZPO). Erlaubt
sind danach sogar die Vernehmung erschienener Zeugen und
verfahrensabschließende Urteile.
Befangenheitsablehnungen haben im Zivilprozess jetzt noch geringere
Erfolgsaussichten als vorher. Das ist mit diesen Abschwächungen der
Rechtsstellung der Parteien auch bezweckt. Bezeichnend dafür ist die
statistische Entwicklung des Ablehnungsrechts. Das NJW – Fundheft weist für
die acht Jahre von 1945 bis 1952 nur drei einschlägige
Gerichtsentscheidungen nach. Für 1980 waren es schon zwölf, für das Jahr
2003 fünfzehn. Diese Zahlen indizieren einen erheblichen Anstieg der
Ablehnungsverfahren, deren Ergebnisse ganz überwiegend nie veröffentlicht
werden. Man kann also ohne weiteres davon ausgehen, dass sich die Zahl der
Ablehnungsverfahren mindestens verzehnfacht hat. Jedenfalls ist es
auffällig, dass mit dem Anstieg der Ablehnungsverfahren eine gegenläufige
Gesetzgebung einher geht.