Polizeiskandal in Kempten: Drogenfund beim Drogenfahnder, spiegel-online, 24.02.2014
Anderthalb Kilo Kokain, angeblich gefunden im Spind des Chefs der Drogenfahndung: Ein Skandal erschüttert die Kemptener Polizei. Der Fall ist mehr als eine Provinzposse. Er hat das Zeug, dem Ruf der Ermittler nachhaltig zu schaden.
Am Anfang steht ein Ehestreit: Die Frau eines Kemptener Polizisten sucht bei den Kollegen ihres Mannes Hilfe. Die finden im Spind des Drogenfahnders 1,5 Kilo Kokain, Herkunft unbekannt, Schwarzmarktwert bis zu einer Viertelmillion Euro – so berichtet es unter anderem die “Augsburger Allgemeine”. Sicher ist, dass vor einer Woche ein 52-jähriger Polizist verhaftet wurde.
Wie kam der Polizist an die Drogen? Stammen sie aus polizeilichen Beschlagnahmungen? Und hat er damit gehandelt? War der Fund Zufall oder Ergebnis gezielter Ermittlungen?
Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt, unterstützt vom bayerischen Landeskriminalamt (LKA), das bei Vorwürfen gegen Polizisten immer eingeschaltet wird. Der Mann sei mit Betäubungsmittelverfahren befasst gewesen, teilen die Behörden mit. Ansonsten halten sie sich bedeckt.
Kein Kommentar zur genauen Position des Polizisten. Kein Kommentar zu Art und Menge des Rauschgifts. Kein Kommentar zu einer etwaigen Durchsuchung der Wohnung des Mannes. Kein Kommentar zur Herkunft des Rauschgifts. Kein Kommentar zu möglichen Kontakten des Verhafteten zum organisierten Verbrechen.
Die Affäre könnte das Vertrauen in die Polizei erheblich beschädigen. Der Allgäuer Polizeipräsident Hans-Jürgen Memel hält den Fall für “den gravierendsten seit meinem Dienstbeginn in Kempten vor fast 20 Jahren”. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie ein Leiter der Drogenfahndung seine Position ausgenutzt haben könnte, um mit Kriminellen zu mauscheln. Laut “Süddeutscher Zeitung” gilt das Allgäu seit vielen Jahren als Hochburg der italienischen Rauschgiftmafia.
Es müsse geklärt werden, ob die gefundenen Drogen bei Ermittlungen sichergestellt und dann unterschlagen worden seien, sagt der Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Bayern, Hermann Benker. Der erste Schritt müsse sein, herauszufinden, woher das Rauschgift stamme – ob es sich etwa um Drogen handle, die nicht ordnungsgemäß entsorgt worden seien. Solange Drogen als Beweismittel benötigt werden, werden sie in der Asservatenkammer aufbewahrt. Der Zugang wird laut Benker von der Polizeiverwaltung überwacht. Erst nach Abschluss eines Strafverfahrens werde konfisziertes Rauschgift vernichtet.
Laut der “Augsburger Allgemeinen” war der 52-jährige Verhaftete für die Beseitigung konfiszierter Drogen zuständig. Der DPolG zufolge gehört die Vernichtung auch zu den Aufgaben der Drogenfahndung. Dafür gebe es aber Sachbearbeiter, die Aufgabe müsse nicht der Leiter der Abteilung übernehmen.
Es besteht auch der Verdacht, dass der Beschuldigte möglicherweise Informationen über geplante Razzien weitergegeben haben könnte. Dies würde jedenfalls dazu passen, dass bei großen Polizeieinsätzen sehr geringe Drogenmengen beschlagnahmt wurden.
Der Zeitung zufolge hatten etwa im vergangenen September mehr als hundert Beamte bei einer Razzia 33 Wohnungen durchsucht. Das kümmerliche Ergebnis: 15 Gramm Kokain und 15 Gramm Marihuana wurden gefunden. “Die Frage, ob die Verdächtigen damals rechtzeitig gewarnt wurden, möchte heute niemand beantworten”, schreibt die “Augsburger Allgemeine”.
Zudem steht der Verdacht im Raum, der 52-Jährige habe womöglich zwei Fahnder versetzen lassen, die ihm auf die Schliche gekommen waren. Auch hierzu: Kein Kommentar von der Staatsanwaltschaft.
Nun werden Rufe nach kompromissloser Ermittlung laut. “Um einen Ansehensverlust der Polizei insgesamt zu vermeiden, brauchen wir eine lückenlose Aufklärung”, teilt der Sicherheitsexperte der SPD-Landtagsfraktion Peter Paul Gantzer mit. “Es muss ohne ein Tabu ermittelt werden”, sagt Polizeigewerkschaftsmann Benker. Er geht von einem Einzelfall aus. Trotzdem gehe es auch um die grundsätzliche Frage, “ob man in unserem System etwas verbessern muss”.