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Troy Davis: Im Zweifel für die Todesstrafe, zeit-online, 23.09.2011
Troy Davis’ Hinrichtung offenbart einmal mehr die Abgründe im amerikanischen Rechtssystem. Es wird höchste Zeit, dass der Supreme Court handelt.
Am Ende steht immer wieder dieselbe Frage: Wie kann es ein Rechtsstaat zulassen, dass ein Mensch hingerichtet wird, wenn auch nur der geringste Zweifel an seiner Schuld besteht?
Denn dass es Zweifel an der Schuld des wegen Mordes an einem weißen Polizisten zum Tode verurteilten und am Mittwochabend hingerichteten schwarzen Amerikaners Troy Davis gab, haben sogar Richter bestätigt. Im Supreme Court und in einem Bundesgericht. Immer wieder wurde die Exekution wegen der Zweifel, die sich nicht ausräumen ließen, aufgeschoben.
Im August 2009 ordnete der Supreme Court, Amerikas Oberstes Gericht, eine neue Anhörung durch einen Bundesrichter an. Etliche der Belastungszeugen hatten zuvor die Beschuldigung von Troy Davis widerrufen oder zumindest in wesentlichen Teilen korrigiert. Am Ende hatten sich sieben von neun Zeugen von ihrer ursprünglichen Aussage im Prozess von 1991 distanziert.
Zudem waren inzwischen neue Zeugen aufgetaucht, die behaupteten, ein anderer habe damals, im Jahre 1989, den weißen Polizisten erschossen, der nach Dienstschluss für einen privaten Sicherheitsdienst arbeitete und auf einem Parkplatz einem um Hilfe rufenden Obdachlosen beistehen wollte.
Dieser Schritt des Supreme Court war ungewöhnlich und im Gericht selber umstritten. Eine neue Anhörung war seit einem halben Jahrhundert nicht mehr angeordnet worden. Zudem sahen die Gesetze inzwischen nur noch eine sehr eingeschränkte Überprüfung von Todesurteilen vor. Etwa wenn gegen Grundsätze des fairen Verfahrens oder gegen Verfassungsrechte des Angeklagten verstoßen werden. Nicht aber unbedingt, wenn neue Beweise auftauchen.
Der Supreme Court jedoch öffnete dem in einer Todeszelle einsitzenden Troy Davis eine kleine Tür. Es sei jetzt an ihm (und seinen Anwälten), seine Unschuld “eindeutig darzulegen” – und zwar mit Beweismitteln, die dem Gericht im Hauptverfahren von 1991 noch nicht vorgelegen hätten.
Hier allerdings liegt zugleich der Kern des erschütternden Rechtsdramas, das die Gemüter in Europa aber auch in Amerika erregt. Troy Davis sollte seine Unschuld beweisen. Die erhebliche Erschütterung seiner angeblichen Schuld reichte nicht. Im Falle von Troy Davis waren die Zweifel nicht ausreichend, um das Urteil aufzuheben – oder es zumindest in eine lebenslange Freiheitsstrafe umzuwandeln.
Der tiefere Grund: Anders als in Deutschland, wo das Grundgesetz die Todesstrafe verbietet, ist diese ultimative Strafe in den Vereinigten Staaten von Amerika nicht nur erlaubt, sondern ist sie in den Augen der Justiz (und der Volksmehrheit) eine ganz normale Strafe.
Natürlich ist sie die schwerste und darum auch vergleichsweise selten angewandte Sanktion. Denn schließlich ist eine Todesstrafe nach ihrer Vollstreckung unumkehrbar. Deshalb wurden auch viele Barrieren eingezogen und kann sich das Verfahren bis zur Hinrichtung über Jahrzehnte hinziehen.
Dreimal schon stand Troy Davis in den vergangenen 20 Jahren vor der Todeskammer, dreimal wurde die Vollstreckung in der letzten Sekunde ausgesetzt. Es gab zahlreiche Anhörungen und Interventionen Oberster Gerichte. Zweimal befasste sich auch der Gnadenausschuss des Bundesstaates Georgia mit seinem Fall. Zum letzten Mal kurz vor Davis’ Tötung. Man kann also nicht sagen, dass Troy Davis ein kurzer Prozess gemacht wurde.
Das Problem liegt, wie gesagt, schlicht darin, dass die Todesstrafe in den Vereinigten Staaten erlaubt ist. Dass sie nach wie vor als eine ebenso legitime wie legale wie ethisch und moralisch gerechtfertigte Antwort auf bestimmte Kapitalverbrechen gilt.
Rache und Vergeltung, die absolute Verneinung des Rehabilitationsgedankens – dieses völlig andere und Deutschland, Europa und einem wachsenden Teil der Welt so fremde Strafverständnis sorgt für das Unverständnis und die tiefe Kluft.
Auch in unserem System gibt es das Prinzip des Rechtsfriedens, dass irgendwann einmal Schluss sein muss mit den Rechtsmitteln gegen ein Strafurteil. Auch wir kennen Verurteilungen, auch rechtskräftige, wo Zweifel und ein ewig ungutes Bauchgefühl bleiben.
Aber zumindest bleibt der Verurteilte am Leben und kann das Verfahren, wenn völlig neue Entlastungsbeweise auftauchen, wieder aufgenommen und neu aufgerollt werden. Es gibt – anders als bei der Todesstrafe – nicht den ultimativen Schlussstrich.
Anders in Amerika. Jener Bundesrichter, der auf Anordnung des Obersten Gerichts 2009 eine neue Anhörung durchführte, kam nach zwei Tagen zu dem Ergebnis, dass die Aussagen der Zeugen zwar die Zweifel an der Schuld des Angeklagten ein wenig verstärkt hätten, aber nur geringfügig. Im Großen und Ganzen seien sie “Schall und Rauch”. Die Unschuld des Angeklagten sei nicht erwiesen.
Schlimmer noch: Der Richter drehte Troy Davis aus einem fatalen Fehler seiner Anwälte einen Strick. Neue Zeugen hatten aussagt, ein Dritter sei der Täter gewesen. Das hätten sie entweder von diesem selber oder von anderen gehört.
Doch die Anwälte versäumten es, den Neubeschuldigten ausfindig zu machen und in den Zeugenstand zu rufen. Sie brachten nur die neuen Zeugen mit. Der Richter weigerte sich darum, diese Zeugen vom Hörensagen zuzulassen. Die Möglichkeit, dass ein anderer der Täter war, blieb damit unerörtert.
Wenn es um Leben oder Tod eines Verurteilten geht, dürften solche Verfahrensversäumnisse der Anwälte niemals den Ausschlag geben. Das dient weder dem Rechtsfrieden noch dem menschlichen Frieden.
Amerikas Supreme Court hat sich bislang noch nie mit der Frage befasst, ob es gegen das achte Verfassungsgebot, das Verbot grausamer und unmenschlicher Strafe, verstößt, einen Menschen hinzurichten, der unschuldig oder dessen Schuld zumindest zweifelhaft war. Es wird höchste Zeit.