Unabhängigkeit der Gerichte oder Justizwillkür? Ein Gespräch mit Udo Jacob, dem Anwalt von Mounir El-Motassadeq, 14.01.2007
Mounir El-Motassadeq wurde im ersten Prozess vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) Hamburg am 19. Februar 2003 wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 3.000 Fällen sowie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zur Höchststrafe von 15 Jahren Haft verurteilt. Seine Anwälte legten Revision gegen das Urteil ein und am 4. März 2004 entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass der Prozess in Hamburg neu aufgerollt werden müsse.
Am 20. August 2005 wurde er dann wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu acht Jahren Haft verurteilt, der Vorwurf Beihilfe zum Mord in mehr als 3.000 Fällen wurde fallen gelassen. Gegen dieses Urteil legten sowohl Bundesanwaltschaft als auch Verteidigung Revision ein. Am 17. November 2006 entschied daraufhin der BGH, den Fall ein zweites Mal an das Hamburger OLG zurück zu geben. Allerdings nicht zur erneuten Beweisaufnahme, sondern um den Vorwurf Beihilfe zum Mord in nunmehr als 246 Fällen in das Strafmaß einzubeziehen und die Strafdauer nach oben zu korrigieren. Dieses Verfahren fand am 5. und 8. Januar 2007 vor dem Hanseatischen OLG statt (Juristischer Sonderfall). In nur zwei Prozesstagen wurde Motassadeq zur Höchststrafe von 15 Jahren Haft verurteilt.
Udo Jacob: Die Hamburger Richter sollten als reine Strafkommission fungieren, ohne eigenen Beurteilungsspielraum. Ein solcher Fall ist mir in der gesamten Rechtsgeschichte der Bundesrepublik nicht bekannt. Durch ihren Amtseid sind Richter nur der Wahrheit und Gerechtigkeit verpflichtet. Diesem Anspruch sind die Richter des 7. Strafsenats des OLG Hamburg meines Erachtens nicht gerecht geworden.
Ihr Mandant war der Angeklagte in dem ersten Hamburger Prozess im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001. Inzwischen gab es einen zweiten Prozess in der Hansestadt. Der Angeklagte dieses Verfahrens, Abdelghani Mzoudi, wurde im Gegensatz zu Herrn Motassadeq von allen Vorwürfen freigesprochen. Spricht das für oder gegen die Justiz? Mit anderen Worten: Ist das ein Beleg für die Unabhängigkeit der Gerichte oder ein Indiz für Justizwillkür?
Udo Jacob: Positiv bewertet, würde das für die Unabhängigkeit der Justiz sprechen. Da aber derselbe Strafsenat des BGH, und zwar in Persona dieselben Richter, in einem gleich gelagerten Fall zu völlig konträren Ergebnissen gekommen sind, spricht das meiner Ansicht nach eher für Willkür
…Trotz der aufgezeigten Widersprüche sah das Bundesverfassungsgericht keinen Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung. Die Verfassungsbeschwerde meines Mandanten wurde gar nicht erst zur Entscheidung angenommen.