…Um 1926 heiratete sie den ein Jahr jüngeren Chauffeur Walter Porschütz, der zuvor auch als Kellner tätig war. Wir wissen nicht, wo das junge Ehepaar in dieser Zeit lebte. Während der Weltwirtschaftskrise offenbar arbeitslos geworden, begann Hedwig Porschütz als Prostituierte in jenem Milieu ihr Geld zu verdienen, das Alfred Döblin in seinem Roman Berlin Alexanderplatz so eindrucksvoll beschrieben hat.
1934 wurde sie wegen Erpressung zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Über ihr Leben in den dreißiger Jahren wissen wir wenig. Walter und Hedwig Porschütz wohnten in einer Anderthalb-Zimmer-Mansarde in der Alexanderstraße 5, unmittelbar gegenüber dem berüchtigten Berliner Polizeipräsidium.
Seit 1940 hatte Hedwig Porschütz engen Kontakt zu dem Bürstenfabrikanten Otto Weidt. Als im Herbst 1941 die Deportation der Berliner Juden in die Vernichtungslager begann, entstand um Weidt und seine Werkstatt in der Rosenthaler Straße ein Netzwerk von Helferinnen und Helfern. Zu ihnen gehörte Porschütz. Obwohl als Vorbestrafte selbst gefährdet, war sie an vielen Hilfs- und Rettungsaktionen beteiligt. Ihr Mann blieb bis Kriegsende Soldat.
Seit Anfang 1943 arbeitete sie formell als Stenotypistin bei Otto Weidt und war mit diesem, wie die Zeugin jener Zeit, die jüdische Schriftstellerin Inge Deutschkron, berichtet, sehr vertraut. Sie kannte sich auf dem Schwarzmarkt bestens aus und brachte ihm Waren aller Art. Diese dienten nicht nur der Hilfe für verfolgte Menschen, sondern auch zur Bestechung von Beamten der Gestapo. Weidt war darauf angewiesen, wollte er die bei ihm beschäftigten Juden vor der Deportation schützen. Hedwig Porschütz blieb für Otto Weidt unersetzlich und die wichtigste Vertraute bei allen Schwarzmarktgeschäften. …
…Indes: Porschütz’ rastlose Schwarzmarktgeschäfte, von denen ihre Schützlinge so profitierten, wurden ihr letztlich zum Verhängnis. Ein Bekannter geriet im Mai 1944 der Polizei in die Hände, als er versuchte, mit Fleischmarken von Porschütz Speck zu kaufen. Im September 1944 kam sie selbst in Haft, und am 2. Oktober 1944 verhängte das Sondergericht III beim Landgericht Berlin gegen sie eine Zuchthausstrafe von anderthalb Jahren. Auch ihr »Lebenswandel« wurde ihr zum Vorwurf gemacht: »Frau Porschütz ist eine Frau, die in früheren Jahren gewerbsmäßig der Unzucht nachgegangen ist. Sie hat auch bis in die neueste Zeit hinein wahllos Umgang mit Männern unterhalten, obwohl sie seit Anfang vorigen Jahres eine Stellung als Stenotypistin innehat und dadurch ein geregeltes Einkommen bezieht.«…
…Zudem war es dem Amt gelungen, die Akten von 1944 aufzutreiben. Entrüstet hielt der Sachbearbeiter fest, dass Porschütz zwar wegen »Kriegswirtschaftsverbrechen« verurteilt worden war, ihre ganze Existenz jedoch moralisch nicht zu billigen sei: Die »Begleitumstände« ließen »auf ein derartig niedriges sittliches und moralisches Niveau schließen, daß auch bei einer in diesem Falle sowieso aus sachlichen Gründen nicht erfüllten Voraussetzung für eine Anerkennung diese nicht gegeben wäre. Eine Anerkennung als PrV [politisch oder rassisch Verfolgter] stellt ein Ehren dokument dar und kann nur für entsprechende Persönlichkeiten ausgestellt werden.«…
…
Ein solche »entsprechende Persönlichkeit« war Hedwig Porschütz für die Behörde ganz offensichtlich nicht. Hier folgte das Amt gern dem Urteil des NS-Sondergerichts und ließ der mutigen Frau nicht einmal die Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen.
Im Oktober 1958 reichte Porschütz schließlich einen »Antrag auf Beihilfe aus dem Fonds ›Unbesungene Helden‹« beim Innensenator ein. Wiederum ohne Erfolg. »Frau Porschütz käme für eine Anerkennung aus der Aktion ›Unbesungene Helden‹ ohne weiteres in Frage, wenn aus der Begründung zum Urteil vom 2. Oktober 1944 nicht hervorginge, daß die Begleitumstände zur Beschaffung der Lebensmittel auf ein derart niedriges sittliches und moralisches Niveau der Frau Porschütz schließen lassen, die nach hiesigem Dafürhalten eine Ehrung durch die Aktion für ausgeschlossen halten lassen. Die Antragstellerin ist in früheren Jahren gewerbsmäßig der Unzucht nachgegangen und hat auch bis zu ihrer Verurteilung im Jahr 1944 trotz ihrer Ehe wahllos Umgang mit fremden Männern unterhalten. Es wird auf die Ausführungen in der Begründung zum Urteil verwiesen. Bei der Beurteilung der Antragstellerin ist außerdem noch zu berücksichtigen, daß sie vor ihrer Verhaftung im Jahre 1934 vom Schöffengericht Berlin wegen vollendeter und versuchter Erpressung in je einem Fall zu 10 Monaten Gefängnis verurteilt wurde und diese Strafe auch verbüßt hat.«
Hier wird das Nazi-Urteil von 1944 nicht nur fast wörtlich zitiert, sondern noch moralisch verschärft. Hatte das Sondergericht nur festgestellt, Porschütz habe »wahllos Umgang mit Männern unterhalten«, wird 1959 daraus »wahllos Umgang mit fremden Männern unterhalten«. Die Verfolgten, denen Porschütz geholfen hatte und deren Anschriften das Amt kannte, wurden nicht einmal befragt. …
… Hedwig Porschütz’ Nazi-Richter hatten es besser getroffen. Einer von ihnen, Landgerichtsrat Joachim Wehl, trat 1953 wieder in den Justizdienst ein und wurde bald zum Amtsgerichtsrat befördert. Als man ihm 1960 insgesamt 86 Todesurteile nachwies, wollte sich Wehl zunächst überhaupt nicht erinnern. Gegen ihn wurde kein Ermittlungsverfahren eröffnet, er sollte stattdessen in den vorzeitigen Ruhestand gehen. Wehl zeigte sich jedoch, wie die Berliner Historikerin Annette Weinke feststellt, »völlig uneinsichtig. Er erklärte, die von ihm verhängten Todesurteile hätten sich seiner Erinnerung nach niemals gegen politische Überzeugungstäter gerichtet, sondern nur Straftaten aus dem Bereich der normalen Beschaffungskriminalität betroffen.« Wehl erreichte es, seine Pensionierung um einige Monate zu verzögern, um so sein Höchstruhegehalt zu bekommen.
Auch als später weitere Todesurteile von Wehl auftauchten, die das Bundesministerium der Justiz an die Berliner Senatsverwaltung für Justiz weiterleitete, kam es weder zu einem Strafverfahren noch zu einer Kürzung der Pension. Noch 1980 zeigte Wehl keinerlei Bedauern: »Ich habe mir absolut nichts vorzuwerfen. Harte Zeiten, harte Urteile.« Sicher ist, dass kein einziger der Richter und Staatsanwälte des Sondergerichts Berlin, das Hedwig Porschütz verurteilte und das über 1.000 Todesurteile fällte, zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen wurde.
Ihr Opfer – dessen »niedriges sittliches und moralisches Niveau« sie ja erwiesen hatten – erfuhr keine Anerkennung mehr. Am 26. März 1977 starb Hedwig Porschütz in einem Berliner Altersheim. Sie wurde auf dem alten Dorfkirchhof in Schöneberg beigesetzt, ihre Grabstelle im Jahr 2000 aufgehoben.
Hedwig Porschütz selber hatte sich nie weiter um die Aufhebung des Urteils von 1944 gekümmert. So blieb es gültig. Denn Urteile wegen »Kriegswirtschaftsverbrechen« gehörten nicht zu jenen, die der Bundestag im August 1998 pauschal aufhob, weil sie »zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind«. Doch paradoxerweise waren viele derjenigen Menschen, die ihren jüdischen Mitmenschen beigestanden hatten, just unter Berufung auf die NS-Kriegswirtschaftsverordnung verurteilt worden.
Erst am 3. Juni 2011 wurde das Schandurteil gegen Porschütz von der Staatsanwaltschaft Berlin aufgehoben. Sie stellte fest, dass die Richter des Sondergerichtshofs »sich nicht als Rechtsanwender« verstanden, »sondern als Bestandteil einer ›Kampftruppe‹ und als politische Kämpfer für Hitler. Die ›Recht‹-sprechung diente nicht der Wahrung des Rechts, sondern der Erfüllung des ›Führerwillens‹.«
Warum also, fragt man sich, hat der Bundestag dann die Kriegswirtschaftsverordnung der Nazis nicht unter jene Normen gefasst, die »von Anfang an Unrecht« waren? So gibt es gewiss noch viele Fälle, in denen Menschen, die geholfen und gerettet haben, postum im Einzelverfahren rehabilitiert werden müssen.
Hedwig Porschütz ist ein Opfer nationalsozialistischer Justiz und bundesrepublikanischer Ignoranz. Erst heute wird deutlich, wie couragiert sie gegen das Regime gekämpft hat. Zu ihren Lebzeiten fand ihr Widerstand keine Anerkennung – am 20. Juli, und nicht nur am 20. Juli, sei ihrer gedacht.