Unschuldig hinter Gittern? Forschung zu Fehlurteilen liegt brach, BR24, 19.08.2020
…In den Augen des Journalisten Hans Holzhaider, der den Fall als Gerichtsreporter der Süddeutschen Zeitung jahrelang begleitet hat, eine absurde Geschichte. “Das war so an den Haaren herbeigezogen. Da gab es nicht den Funken eines Anhaltspunktes dafür, dass so etwas überhaupt stattgefunden hätte”, berichtet er. “Für diesen Streit gibt es null, überhaupt keine Beweise, kein Indiz, nichts”, sagt auch Genditzkis Rechtsanwältin Regina Rick.
Manfred Genditzki wird im März 2012 des Mordes verurteilt zu lebenslanger Haft. Obwohl es keine Beweise für die Tat gibt, sondern nur Indizien. Bei vielen Prozessbeobachtern bleiben große Zweifel.
Ursachenforschung: Wie kommt es zu Fehlern?
Der Kriminologe Ralf Kölbel von der Ludwig-Maximilians-Universität München kennt den Fall von Manfred Genditzki nicht. Aber er hat sich intensiv mit Ermittlungsverfahren und möglichen Fehlerquellen beschäftigt. Er hält dabei vor allem psychologische Mechanismen für ausschlaggebend.
“Ein häufiger Fehler ist, dass sozusagen schon von vornherein die polizeilichen Ermittlungen durch eine voreilige Festlegung in eine falsche Richtung laufen. Und in diesem Tunnelblick wird dann alles das, was man an Informationen erhält, nicht in unterschiedlicher Art und Weise auf verschiedene Interpretationsmöglichkeiten hin getestet, sondern immer nur in eine Richtung gelesen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die wesentlichen Probleme im Ermittlungsverfahren liegen.” Kriminologe Ralf Kölbel, LMU München
Das legen auch Forschungen aus den USA nahe, die zumindest Anhaltspunkte für die Situation in Deutschland liefern können. Bei der Analyse von Fällen, die in den USA neu aufgerollt wurden, stellten amerikanische Forscher fest, dass bereits die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft in die falsche Richtung liefen. Etwa, weil unter psychischem Druck falsche Geständnisse abgegeben wurden, Gegenüberstellungen unsachgemäß abliefen oder Zeugen falsch aussagten. Zwar werden viele Fehler vor Gericht korrigiert, aber diese Fehler bergen das Risiko, dass am Ende des Prozesses jemand zu Unrecht verurteilt wird.
Letzte Studie zu Fehlurteilen 50 Jahre alt
Kriminologe Ralf Kölbel kritisiert, dass wir darüber in Deutschland viel zu wenig wissen. Auch weil zu wenig dazu geforscht werde. Die letzte groß angelegte Studie, die sich mit den Ursachen von Fehlurteilen befasste, liegt fünfzig Jahre zurück. Daten darüber, wie viele Wiederaufnahmeverfahren zugelassen wurden und wie sie ausgingen, gibt es hierzulande nicht. …