Prof. Dr. Erich Schwinge hat als NS-Richter Todesurteile verhängt.
Nach seiner Berufung an die Universität Marburg 1936 wendet sich Schwinge dem Militärstrafrecht zu. 1941 wechselt Schwinge an die Wiener Universität. Dort findet er erstmals Gelegenheit, sein theoretisches Wissen in die Praxis umzusetzen. So wird er neben seiner Lehrtätigkeit zuerst Staatsanwalt und später Richter am Feldkriegsgericht der Division Nr.177 zu Wien und springt ab und zu auch an Militärgerichten in Frankreich, Belgien und der Sowjetunion ein. Im Rahmen dieser Tätigkeit beantragt bzw. verhängt Schwinge allein in den letzten beiden Kriegsjahren aktenkundig 16 Todesurteile.
Der Fall Reschny ist davon das bekannteste: Der 17-jährige Soldat Anton Reschny hilft im August 1944 – nicht einmal zwei Wochen nach seiner Einberufung – bei der Räumung einsturzgefährdeter Häuser mit und nimmt dabei eine leere Geldbörse sowie zwei Uhren an sich. Daraufhin kommt er wegen Diebstahls unter Ausnutzung der Kriegsverhältnisse (§§ 242 RStGB, 4 Volksschädlingsverordnung) vor Richter Schwinge. Doch dem Jugendlichen drohen für dieses Delikt höchstens 10 Jahre Freiheitsstrafe (vgl. § 5 RJGG); eigenmächtig ändert Schwinge die Anklage auf Plünderung im Felde (§ 129 MStGB) ab, worauf nach § 50 MStGB Jugendrecht nicht anwendbar ist. Zwar erkennt das Gesetz nur in besonders schweren Fällen auf Todesstrafe (§ 129 II MStGB), jedoch kann Schwinge guten Gewissens seinen eigenen Kommentar als Richtlinie nehmen, so daß er unter dem Prämissen „Mannszucht” und „Abschreckung” auf Tod für Reschny erkennt. Bezeichnenderweise mildert die damalige Rechtsmittelinstanz, Reichsführer SS Heinrich Himmler (!), dieses Urteil auf 15 Jahre Zuchthaus ab. Reschny überlebt.
40 Jahre später zeigt der inzwischen 57-jährige Reschny seinen Richter Schwinge wegen Rechtsbeugung und versuchten Mordes an, da die Verhandlungsführung sowie das Mißverhältnis zwischen Schuld und Strafe Schwinges Absicht belege, das Verfahren mit einem Todesurteil abzuschließen. Die Staatsanwaltschaft Marburg stellt jedoch das Verfahren ein: Die Anwendung von § 129 II Militärstrafgesetzbuch sei zwar „verfehlt” und „unverhältnismäßig”, aber „vertretbar” gewesen. Die Beschwerde weist der hessische Generalstaatsanwalt zurück, das Klageerzwingungsverfahren scheitert am Frankfurter Oberlandesgericht: Da sich Schwinge in seinem Urteil auf das Militärstrafgesetzbuch und den relevanten Kommentar (seinen eigenen) gestützt habe, habe er sich nicht aus eigener Willkür zum Herrn über Leben und Tod gemacht.
Quellen: F.Wüllner, Die NS-Militärjustiz und das Elend der Geschichtsschreibung, Nomos, Baden-Baden 1987. I.Müller, Furchtbare Juristen, Knaur, München 1989, S.192. Neue Juristische Wochenschrift 1993, Seiten 368 bis 372. R.Holder, Hitlers willfährige Helfer. Spiegel vom 1.10.1984.