Korrekt in der Katastrophe, „Lebenslänglich“ – wie überlebt einer das?, Zeit-Online, 08.05.1987
Der Mann, dem ich im Besucherzimmer des Gefängnisses gegenübersitze, ist Erich Schromm. In seinen Akten steht, er habe aus niedrigsten Motiven einen Mord angestiftet. Im Juli 1974 hat seine damalige Freundin seine Ehefrau umgebracht. Er selbst soll die Tat angezettelt haben. Nach dem Blumenstock, mit dem die Täterin sich Einlaß verschafft hatte, hieß das Verfahren „Begonienmord-Prozeß“. Das Urteil für den Zahnarzt Erich Schromm hieß „Lebenslänglich“. Während die Täterin nach acht Jahren Gefängnis wieder auf freien Fuß kam, muß Schromm aller Voraussicht nach hinter Gittern bleiben, bis er die fünfzehn Jahre Knast voll hat, die das Gesetz bei untadeligem Verhalten für ihn vorsieht.
Für die Verurteilung hatte es seinerzeit an „harten“ Beweisen gefehlt. Grundlage war die Aussage der einstigen Freundin bei der Vernehmung, er habe ihr die Tat gleichsam befohlen. War das ausreichend für ein Lebenslänglich? Ein Vernehmungsbeamter von damals und einer der Prozeßgutachter bekennen sich auch heute noch zu ihren Zweifeln.
Der Verdacht, daß hier ein Justizirrtum vorliegt, rumort unaufhörlich. In dem Buch eines Gerichtsreporters über die „Leichen im Keller der bayerischen Justiz“ hat Schromm ein Kapitel. „Ich kann mir nicht vorstellen, in welcher Weise Schramm strafrechtlich schuldig, sein soll. Er wollte seine Geliebte nicht heiraten. Er konnte gut ,abgrenzen‘. Wieso sollte er so etwas tun? Die Straftat kann ich nicht verstehen – rein handwerklich nicht“, sagte ein altgedienter Kripo-Ermittler.
Im Falle Schromm wurden Wiederaufnahmeanträge gestellt und verworfen. Gnadengesuche abgelehnt – das vorläufig letzte am 6. August 1986.
„Eingestellt“ auf die Haft habe er sich anfangs gar nicht, wehrt Erich Schromm mit einer schneidenden Geste ab. Stets hätten ihn die Verteidiger darüber hinweggetröstet: der Haftbefehl könne nicht aufrechterhalten werden; nichts als Freispruch könne herauskommen. Die Haft erschien gleichsam als unwirklich. Auch im Schwurgerichtssaal, sagt Schromm, habe niemand an ein Lebenslänglich geglaubt. Als es doch kam, hoffte er auf den Bundesgerichtshof, doch der ließ das Urteil bestehen.
…Wenn der Lebenslängliche sich an den Urteilstag erinnert, spricht er zunächst von seinem Anwalt, Erich Schmidt-Leichner, einem Starverteidiger. Der hatte sich für Angeklagtenrechte so vehement eingesetzt wie später nur die Verteidiger im Stammheim-Prozeß. „Als die mündliche Urteilsverkündung war und alle aufstehen mußten“ – Schromm starrt auf einen imaginären Punkt der Tischplatte –, „da stand Schmidt-Leichner groß und breit wie die Tür. Dann war Gebrüll. Und der große Schmidt-Leichner wurde immer bleicher, immer kleiner, ist im Stuhl versackt, bis man nichts mehr gesehen hat.“ Es sei des Staranwalts einziges „Lebenslänglich“ gewesen.
Schromm selbst, den der Spiegel damals ein „Ekel“ nannte, steht fest hinter seinem Auftreten von damals. Böses Blut habe es gegeben, ja – nämlich weil ihn die Richter nicht mitgenommen hätten, als sie bei den drei Bombendrohungen aus dem Gerichtssaal geflüchtet seien und ihn hätten sitzen lassen. Als „arrogant“ sei er verschrien gewesen, ja – weil er der mitangeklagten früheren Freundin nicht die Hand reichen mochte. „Hätt’ ich sagen sollen ‚Tinchen grüß‘ dich Gott’?“
…„Schromm? Den Fall verwende ich seit Jahren in meinem Seminar“, sagt ein Professor der Kriminalwissenschaften auf meine Frage, ob denn all dies so ungewöhnlich sei. „Der Bedarf für einen Zahnarzt im Strafvollzug steht außer Frage, der Sinn für den Lebensunterhalt ebenfalls. Resozialisierung wird von der Behörde eigentlich nicht gewollt.“ …