Betrug am Staat und den Opfern: Geschäftsmodell Nebenklage, Terrorismus Blog, 06.10.2015
Täglich kommen neue, unappetitliche Einzelheiten des Nebenklage-Betruges im „NSU-Prozess“ heraus: Für das angebliche Opfer Meral Keskin, das offenbar gar nicht existiert, wurden 5.000 € Entschädigung aus dem Hilfsfond der Bundesregierung gezahlt, sagte mir ein Sprecher des Bundesjustizministeriums heute Abend: Man habe gezahlt, weil die Frau ja als Nebenklägerin zugelassen worden sei, versucht der Sprecher zu erklären.
…Offenbar hat das „echte“ Opfer des Nagelbombenanschlags auf der Kölner Keupstraße, Atilla Ö., schon vorher mindestens einmal versucht, andere Opfer an Rechtsanwälte zu vermitteln – und sich dafür bezahlen zu lassen. Zunächst ging es um seine eigene Mutter: Sennur Ö. Um sie stritten sich im Frühjahr 2013, kurz vor Beginn der Hauptverhandlung, zwei Rechtsanwälte: Björn Hühne und Paul Fünfzig in geharnischten Schreiben an das Oberlandesgericht. Beide wollten deren Vertreter sein, schmutzige Wäsche wurde gewaschen. Am Ende schrieb angeblich Sennur Ö. persönlich an das Oberlandesgericht: Sie wolle nun nicht mehr Nebenklägerin sein, der Streit tue ihr leid.
Schon damals soll es Provisionsforderungen gegeben haben. Kaum vier Wochen später wurde dann Sennur Ö. offenbar Rechtsanwalt Ralph Willms als Meral Keskin „verkauft“. Gegen Provision, wie sein Rechtsanwalt schriftlich in einer Presseerklärung einräumt – und mündlich ergänzt: „drei bis viertausend Euro“ seien es gewesen. Zudem soll der fiktiven Frau Keskin sogar Geld „zur Unterstützung“ gezahlt worden sein, damit sie nach München kommen kann. Eine Schutzbehauptung? Reisekosten für die Zeugenaussage hätte das Gericht jedenfalls jederzeit – auch im Voraus – erstattet. Hilfe für einen Besuch des Prozesses zur eigenen Information wäre über die Bundesregierung und deren Ombudsfrau Barbara John zu haben gewesen.
Doch Frau Keskin kam nicht, immer abenteuerlicher wurden die Begründungen, immer geringer die Geduld des Senats. Dann ging alles sehr schnell. Die Gerichtsreporterin Wiebke Ramm analysierte hartnäckig die Fakten, kam zum Ergebnis, dass mit dem Attest für Meral Keskin etwas offenkundig nicht stimmt – und forderte Willms ultimativ auf, sich zu erklären.
…Für das wichtige Institut der Nebenklage ist all das ein großer Schaden. Auch – und gerade – weil es nicht der einzige Missbrauchsfall ist. Es gibt Nebenklägeranwälte, die im persönlichen Hintergrundgespräch offen einräumen, dass ihre Mandanten der Prozess nicht interessiert und Fragen „zum Spaß“ oder „aus eigenem Interesse“ gestellt werden, die den Prozess gar als „Altersversorgung“ bezeichnen. Längst macht man sich an entscheidenden Stellen in Justiz und Gesetzgebung darüber Gedanken. Es dürfte Folgen für die Strafprozessordnung haben. Nach dem Urteil.
Dieser Beitrag kann aber nicht enden, ohne Lob für diejenigen Nebenklägeranwälte auszusprechen, die mit Einfühlungsvermögen und Können für ihre Mandanten wirken. Teilweise so geräuschlos, dass sie selten wahrgenommen werden. Für einige Opfer und Angehörige sind diese Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ein Segen. …