Buch: Der Strafwandler von Mario H. Seydel
Warum ich dieses Buch geschrieben habe?
Der Umgang mit der Polizei, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht hat mich gelehrt, dass der Bürger nur durch eine konsequente Verteidigung eine Chance hat. Das bedeutet auch, wenn Sie sich keinen Verteidiger leisten können, verringern sich Ihre Chancen erheblich. Man wird mit Ihnen machen, was man will. Sie sind zu einem Spiel eingeladen, dessen Spielregeln Sie nicht kennen, und das in einer Sprache gespielt wird, mit der Sie nicht vertraut sind. Hinzu kommt der psychologische Aspekt. …Die Lektüre dieses Buches macht Sie nicht zu einem Strafverteidiger, hilft Ihnen jedoch Ihre Situation einzuschätzen und Ihre Rechte wahrzunehmen.
…Wenn Sie hoffen, unter den Richtern, Staatsanwälten, Polizisten und Rechtsanwälten hochqualifizierte Verantwortliche zu treffen, die bestens für ihre Tätigkeit ausgebildet wurden und über ein ausgezeichnetes logisches Denken, eine überdurchschnittliche Allgemeinbildung und auch besondere Kenntnisse im Bereich der Mathematik und der Naturwissenschaften verfügen, muss ich Sie erneut enttäuschen.
…Sie haben es, abgesehen von den Polizisten, leider mit völligen Laien zu tun, die, außer ihren Staatsexamina, keine besonderen Qualifikationen mitbringen, weil es nicht erforderlich ist. Die beteiligten luristen üben einen Beruf aus, für den sie nicht ausgebildet sind. Die Ausbildung der luristen kommt praktisch vollkommen ohne Menschen aus. Ihre Beschäftigung liegt darin, fiktive Sachverhalte juristisch zu bewerten. Wie man einen Sachverhalt in der Praxis feststellt, Zeugen befragt und Gutachten bewertet, müssen sie sich irgendwie aneignen. Learning by doing. Wir luristen hören das nicht gern, aber wir sind tatsächlich wie Medizinstudenten, die man nach der Lektüre eines Anatomiebuches, ohne praktische Erfahrung am Menschen auffordert, einen Blinddarm zu entfernen. Die Lage verbessert sich auch im Laufe der Tätigkeit nicht, da einem auch später keiner zeigt, wie es richtig ist. …
…Oft habe ich mich gefragt, wie es sein kann, dass die Äußerungen der Juristen, Polizisten und Sachverständigen in einem Gerichtssaal häufig von einer unendlichen Dummheit getragen werden. Man kann sagen, nichts ist so dumm, dass es nicht in einem deutschen Gerichtssaal ernsthaft geäußert werden könnte. Hier herrschen nicht die Regeln der Wissenschaft, sondern die des Stammtisches, der Küche oder der Straße. In jedem Kindergarten greift irgendwann die Erzieherin ein, wenn ein Dreijähriger verzweifelt versucht, den rechteckigen Formstein in eine runde Öffnung zu hämmern. Bei Gericht wird die Öffnung eben passend gemacht, mit Gewalt. Für solche Fälle wünschte ich mir eine Gerichtskindergärtnerin. Kleinste Informationsbrocken reichen aber schon, damit sie sich eine Meinung bilden und diese in Form von Beschlüssen, anderen Entscheidungen nach außen tragen – willkommen auf »Mount Stupid«. …
Inhaltsverzeichnis:
1 Vorab
2 Etwas Grundlegendes
3 Das Verfahren
4 Die Akte
5 Verteidigung im Strafverfahren
6 Der Rechtsanwalt
7 Die Praxis der Verteidigung
8 Der Zeuge
9 Eigene Ermittlungen
10 Logik und Psychologie
11 Fehler im System
12 Gefühle
Etwas Abschließendes
Mustertexte
Weiterführende Literatur