Eine Klage gegen deutsche Staatsanwälte mit der Macht, Existenzen zu vernichten, Der Spiegel 9/2014, Seite 58
…Eine Katastrophe für die deutsche Justiz, schon vor dem Urteil. Staatsanwälte, die sich gern als “objektivste Behörde der Welt” bezeichnen, haben mit ihrem Ermittlungen den Rücktritt des Bundespräsidenten ausgelöst. Sie haben ihn letztlich wegen Peanuts mit ihrer Anklage verfolgt, haben seine Wohnung, seine Büros, sein Privatleben gefilzt, ihn gedemütigt – alles im Dienste von Wahrheit und Gerechtigkeit: Denn dies ist der Auftrag, auf den sich Deutschlands Ankläger berufen.
So macht man keine Gerechtigkei. Absurd, peinlich, beschämend, “exzessiv und obsessiv” sei das Vorgehen der Staatsanwaltschaft gewesen, schimpft ein Redakteur der “Süddeutschen Zeitung”, was um so schwerer wiegt, weil er früher selbst Staatsanwalt war.
Der Apparat, den der Staat aufbietet, Wahrheit und Gerechtigkeit vor Gericht zu garantieren, erscheint ein weiteres Mal als Monstrum. …
…Der Apparat kann vollendete Tatsachen schaffen, bevor überhaupt irgendein Richter sich mit den Akten beschäftigt hat. Erst wenn die Justiz havariert, jwird unübersehbar, wie sie wirklich funktioniert: Die Weichen jedes Strafprozesses werder nicht von der Dritten Gewalt, den Richtern, sondern vom staatlich gelenkten Apparat der Ankläger gestellt.
Es wird die Gefahr übersehen klagt BGH-Richter Eschelbach, “wie einfach es ist” in diesem System “unerwünschte Personen aus dem Verkehr zu ziehen”.
…Die Staatsanwälte sind um so gefährlicher, weil sie in einem System der Selbstgerechtigkeit arbeiten. Anders als die Kollegen im angelsächsischen Strafprozess, die ganz offen als Partei auftreten, tragen deutsche Ankläger die Maske der Objektivität.
…Ebenso schnell wie mit Beschlagnahme sind Ermittler in Wirtschaftsstrafsachen mit „dinglichem Arrest“ zur Hand: der vorläufigen Sicherstellung oft des gesamten Vermögens. „Auf puren Verdacht hin“, sagt Strafverteidiger Johann Schwenn, „kann man ein kleines Unternehmen über Nacht an den Rand des Ruins bringen.“ So froren hanseatische Staatsanwälte 2009 über Nacht das flüssige Vermögen eines leitenden Angestellten bei einem Hamburger Solarunternehmen ein: wegen des Verdachts der Bilanzfälschung und des Insiderhandels.
Das Verfahren wurde vergangenes Jahr eingestellt – doch bis dahin, so Schwenn,
„konnte sich der Mann nicht mal mehr eine Fahrkarte kaufen“.
…Dass die Wahrheit schlechte Chancen hat, wenn sie der Staatsanwaltschaft nicht gelegen kommt, musste 2011 der Bad Pyrmonter Zahnarzt Edward Braun merken, als er sich mit wichtigen Hinweisen zur Entlastung des mittlerweile eingesperrten Mollath bei den Staatsanwälten meldete:
Mollaths Frau, die Hauptzeugin der Anklage, habe ihm gegenüber früher schon gedroht, sie werde „den Gustl fertigmachen“, wenn der sie anzeige.
Eine solche Aussage, meinte nicht nur der Zeuge Braun, hätte Staatsanwälte, die der Wahrheit verpflichtet sind, elektrisieren müssen: Wiederaufnahmeverfahren?
Ansichtssache. Die Objektiven von Nürnberg schickten Brauns Alarmbrief
tückisch weiter ans Landgericht Regensburg, als würde es sich um einen Wiederaufnahmeantrag handeln.
So ein Antrag von einem Zeugen wäre natürlich unzulässig, und so hatte Braun das natürlich nicht gemeint. Das Gericht schickte dem Zeugen den Antrag als „unzulässig“ zurück, kostenpflichtig, wegen unsinniger Inanspruchnahme der Justiz.
„Zynisch und absurd“ sei das gewesen, hieß es im Mollath-Untersuchungsausschuss
des bayerischen Landtags, eine Formulierung, der sich nur die Minderheit
des Ausschusses anschließen konnte.
„Eine offenbar systematisch angelegte Uneinsichtigkeit und Unfähigkeit zur Fehlerkorrektur“ bescheinigte Henning Emst Müller, Strafrechtsprofessor an der Uni Regensburg, der bayerischen Justiz. …