Wie die Justiz jenseits von Kachelmann versagt, welt.de, 06.06.2011
In einigen Fällen springt die Justiz an, wie im Vergewaltigungsprozess gegen Wettermoderator Kachelmann. In anderen versagt sie an der eigenen Trägheit.
Nun, da der Kachelmann-Prozess endlich vorbei ist, können wir nicht nur aufatmen, sondern uns auch anderen Justizfällen zuwenden, über die nicht dermaßen intensiv berichtet wurde. Es sind auch keine spektakulären Fälle wie der des Wettermanns – bis auf einen, in dem es ebenfalls um Vergewaltigung ging. …
… Da wird Israel als die Fortsetzung des Dritten Reiches dargestellt und die Juden als ein Volk von Erpressern, das seit Jahrhunderten die Welt im Würgegriff hat. Es sind zeitgemäße Variationen der alten NS-Parole “Die Juden sind unser Unglück!“.
Alle Kölner Ratsfraktionen (mit Ausnahme der Linkspartei) und der Kölner OB haben sich von der “Klagemauer“ distanziert und sie als das bezeichnet, was sie ist: antisemitische Hetze. Doch aus irgendeinem Grund, der mit dem Artikel 1 des Kölner Grundgesetzes zu tun hat – „et es wie et es“ –, weigert sich die Kölner Justiz, etwas zu unternehmen.
Solange nichts passiert, besteht kein Handlungsbedarf
Soll heißen: Solange die „Klagemauer“ nicht zu einem Pogrom führt, was nicht zu befürchten ist, kann der Veranstalter nicht belangt werden. Sollte der Fall aber dennoch eintreten, werde man das Nötige veranlassen.
Der zweite Fall führt uns nach Stuttgart, wo ein Bürger an einem Eintrag auf einer beliebten Internetseite Anstoß genommen hatte, in dem dazu aufgerufen wurde, Juden zu vergasen: „Die gehören alle VERGAST! Hitler hat damals nichts Falsches gemacht! Nur mit den falschen MITTELN! …“
Der Bürger erstattete Anzeige, die Staatsanwaltschaft nahm die Ermittlungen auf und kam zu folgendem Ergebnis: In dem Eintrag werde „tatbestandsmäßig“ im Sinne des Paragrafen 130 StGB (Volksverhetzung) „die Vernichtung der Juden gebilligt oder gar propagiert“; dennoch bestehe „kein hinreichender Tatbestand der Volksverhetzung nach §130 Abs. 3 StGB“.
Eine „konkrete Gefährdung des öffentlichen Friedens“ sei „nicht feststellbar“, denn: „Der verständige Leser, so er Internetforen und Pinnboards überhaupt besucht und derartige Einträge zu lesen sich zumutet, wird derartige Einträge auch so verstehen“, nämlich als „Entäußerung des eigenen Unmuts und die Entsorgung der eigenen Gedanken“.
Man kann also davon ausgehen, dass ein Aufruf, Juden zu vergasen, keine Konsequenzen haben wird, weder für die Juden noch für den Verfasser des Aufrufs. …
Die Eltern des Mannes ließen nicht locker. … Die Mutter drohte den beiden damit, sich persönlich so lange neben das Bett zu setzen, bis der Beischlaf vollzogen ist. Danach wendete der Hauptangeklagte Gewalt an und zwang die Elfjährige zum Geschlechtsverkehr. Als das weinende Kind sich mit seinem Schicksal auch nach Tagen nicht abfinden konnte, wurde es schließlich zurückgebracht nach Lübeck.“
… Verglichen mit diesem Fall sind die beiden ersten Peanuts. Was sie freilich gemeinsam haben, ist die Kälte, die aus ihnen spricht. Sicher, Richter dürfen sich von Gefühlen nicht leiten lassen, und die Staatsanwaltschaft ist, das lernt jeder Referendar im ersten Jahr, die “Kavallerie der Justiz: schneidig, aber dumm“.
Allerdings gibt es Fälle, bei denen die Justiz “anspringt“, wie bei Kachelmann, und andere, bei denen sie an der eigenen Trägheit versagt. Kommt noch ein besonderer „kultureller Hintergrund“ dazu, gibt es mildernde Umstände, um die „Resozialisierung“ der Täter nicht zu gefährden, die nie sozialisiert worden sind.
Wie man aus Mannheim hört, will die Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch von Kachelmann in die Revision gehen. Sollte sie damit scheitern, bleibt als letzte Instanz nur noch Alice Schwarzer. Die hat sich übrigens zu dem Osnabrücker Fall nicht geäußert. Und das Fernsehen war auch nicht da.