RiOLG Thomas Schulte-Kellinghaus “Die Fixierung auf Zahlen ist von geringem intellektuellem Wert”, LTO, 21.07.2015
Wie weit darf die Erledigungsquote eines Richters unter den Durchschnitt sinken, bevor er untragbar wird? Thomas Schulte-Kellinghaus erhielt 2012 eine Ermahnung, weil er nur auf 68% kam. Mit uns hat er erstmals über sein Verfahren gesprochen.
Das ist kein Zufall, denn in Schulte-Kellinghaus’ Fall steht eine Frage erstmalig zur – nunmehr bald: höchstrichterlichen – Entscheidung, die seit Jahrzehnten im Inneren der deutschen Justiz schwelt, und die an das Grundverständnis richterlicher Unabhängigkeit und justizieller Ressourcenschonung rührt. Sie lautet, leicht vereinfacht: Wieviel Zeit darf ein Richter sich lassen, um ein Urteil zu fällen, das seinem eigenen Maßstab an ordentliche Rechtsanwendung genügt, und ab wann wird seine Langsamkeit zur unerträglichen Bürde für Kollegen, Rechtssuchende und das System der Justiz als Ganzes?
Die Sache wäre weniger interessant, wenn man Schulte-Kellinghaus leichthin als Faulenzer oder intellektuell Minderbegabten abtun könnte. Das indes behauptet niemand, auch Frau Hügel nicht. Im Gegenteil liegen seine wöchentlichen Arbeitsstunden deutlich über denen der meisten Kollegen, seine Urteile werden überdurchschnittlich häufig in Fachzeitschriften abgedruckt, und wer sich öffentlich über Schulte-Kellinghaus äußert, der beschreibt ihn vielleicht als schwierig oder eigenwillig, aber bestimmt nicht als träge oder dumm.
Er selbst hat sich zu seiner Klage, die vor dem Richterdienstgericht (RDG, Urt. v. 04.12.2012, Az. RDG 6/12) und dem Dienstgerichtshof für Richter (DGH, Urt. v. 17.04.2015, Az. DGH 2/13) erfolglos blieb und derzeit beim BGH anhängig ist, bislang nicht öffentlich geäußert. Auch wir mussten warten: Eine Interviewanfrage hatten wir bereits im April verschickt, doch er wollte sich zunächst die – seinerzeit noch nicht vorliegenden – schriftlichen Urteilsgründe des DGH ansehen.
Schulte-Kellinghaus: Der DGH hat entschieden, dass Justizverwaltungen in Deutschland berechtigt sind, Richter unter Druck zu setzen, damit sie ihre Rechtsanwendung ändern. Richter können nach dem Urteil des Dienstgerichtshofs gezwungen werden, die Anwendung von Gesetzen den Interessen und Wünschen der Landespolitik anzupassen. Dazu möchte ich nicht mehr schweigen.
LTO: Das haben wir so im Tenor des Urteils vergeblich gesucht.
Schulte-Kellinghaus: Es ist aber sein sachlicher Inhalt. Es ging um die Frage, ob die Dienstaufsicht mich unter Druck setzen darf, damit ich höhere Erledigungszahlen produziere. Der DGH behauptet, Druck auf höhere Zahlen hätte nichts mit einem Druck auf eine – von der Präsidentin gewünschte – grundlegende Änderung meiner Rechtsanwendung zu tun. In diesem entscheidenden Punkt ist das Urteil begründungslos. Dass die in die Fallbearbeitung investierte Zeit und die somit erreichten Erledigungszahlen zwingend etwas mit unterschiedlicher Rechtsanwendung zu tun haben, ist evident. Das kann man nur leugnen, wenn man sich einer Wahrnehmung der Realität, wie Rechtsfindung an den Gerichten stattfindet, verschließt. Das haben die Richter des DGH getan. ….