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Ende gut, alles gut? Am 13. Mai 2005 war die Witwe des Bauern Rudolf Rupp samt ihren zwei Töchtern und einem Freund der älteren vom Landgericht Ingolstadt zu Freiheitsstrafen bis zu achteinhalb Jahren verurteilt worden, “zur Überzeugung des Gerichts überführt im Wesentlichen durch die Aussagen der Vernehmungsbeamten”. Viel mehr als deren Überzeugung vom vermeintlichen Tatgeschehen gab es nicht.
Vor allem gab es keinen einzigen Beweis dafür, dass Rupp in der Nacht vom 12. auf den 13. Oktober 2001 von seiner Familie umgebracht, zerstückelt und den Hofhunden zum Fraß vorgeworfen worden war, wie es die Anklage und später das Gericht in seinem Urteil behaupteten. Heute weiß man, warum.
…Nicht nur die Staatsanwaltschaft hält bis heute an dieser Überzeugung fest, auch wenn sie ehrlicherweise zugeben müsste, dass sie sich damals furchtbar geirrt hat. Doch Fehler zuzugeben fällt schwer. Lieber erinnert man sich nicht genau und geht mit der Wahrheit großzügig um. Hauptsache, der Apparat und die Kollegen nehmen nicht Schaden. Wer das Ingolstädter Urteil heute liest, dem gehen die Augen über. Wie können sich Richter einer Tat so sicher sein, dass sie sogar hohe Freiheitsstrafen verhängen, wenn es dieses Geschehen gar nicht gegeben hat?
…An dieser Gewissheit hätte sich nichts geändert, wenn nicht im März 2009, als die Hauptangeklagten schon 1882 Tage im Gefängnis hinter sich hatten, das Auto doch noch gefunden worden wäre. Man zog es aus der Donau – und mit ihm eine Leiche hinter dem Lenkrad: Rudi Rupp.
…Trotz Kenntnis dieses Obduktionsergebnisses hielt die bayerische Justiz das Urteil für “im Ergebnis richtig”. Alle rechtlichen Mittel wurden aufgeboten, die Wiederaufnahme des Falls zu verhindern, die die neuen Verteidiger – Regina Rick, Klaus Wittmann, Bernd Scharinger und Kerstin Knapp – anstrebten.
Nur dank eines beherzten Wortes des Oberlandesgerichts München begann im Herbst 2010 vor dem Landgericht Landshut ein neuer Prozess. Noch einmal musste man sich mit den Horrorphantasien der Ingolstädter Anklage befassen – nun ein Stück voller Peinlichkeit.
Der Fall des Bauern Rupp ist eine Rarität in der Strafjustiz, widerlegt er doch eindeutig die These, kein Mensch, abgesehen vielleicht von ein paar psychisch gestörten Personen, gebe eine Straftat zu, die er nicht begangen hat. Und, vielleicht noch wichtiger, er ist ein Lehrbeispiel für die Bedeutung des Befragungsverhaltens der Ermittler, ihrer Vernehmungsmethoden und ihrer Arbeitshypothesen.
…Ein Beamter der Kripo, der nicht zur Ermittlungsgruppe gehörte und dessen Name nicht genannt werden soll, sagt: “Man muss sich das so vorstellen, dass sich die Überzeugung des Oberstaatsanwalts im Kopf des kleinen Beamten verselbständigt. Er spurt. Er ist mit auf der Fährte.” Der Beamte gebraucht ein Wort, das von Ottfried Fischer, dem bayerischen Kabarettisten, stammen soll: hinhundeln. Wie ein Hund bedingungslos parieren, wedeln und schlecken und nach Belohnung lechzen. “Da wird so mancher selbst zum Täter, wenn er merkt, dass er Macht hat über andere. Dass man bei ihm sogar gesteht, was man gar nicht getan hat.”
…So entstand die rufmörderische Legende von der verkommenen Sippschaft, der alles zuzutrauen war. Die haben den sogar geschlachtet! So etwas gab es noch nie in Ingolstadt. Man sucht nach Blutspuren. “Eigentlich hätte man was finden müssen”, sagt Veh. “Man hatte schon Bedenken, ob das alles stimmt.” Aber man habe die “Mentalität” der Verdächtigen berücksichtigt.
…Am Freitag sind die Angeklagten halbherzig freigesprochen worden. Eine Entschädigung wurde ihnen verweigert. Schließlich hätten sie die Anklage “selbst verschuldet”, so der Vorsitzende Theo Ziegler. Und: “In der Zusammenschau sind wir fast der vollen Überzeugung, dass Rupp heimkam und einer oder mehrere der Angeklagten die Todesursache setzten.” Aber wer und wie?
Ein gutes Ende? Verteidigerin Rick: “Ich habe mich das ganze Verfahren über gefragt, ob sich nicht mal einer schämt.”