Fall: Tim H., Polizei schneidet gedeckt von der Staatsanwaltschaft Video passend zusammen, 19.12.2014

Die fünf Männer mit dem Megafon, neues deutschland, 19.12.2014

Die Durchsage ist auf dem Polizeivideo deutlich zu hören: »Kommt nach vorn!«, schallt es aus einem Megafon, während Hunderte Nazigegner am 19. Februar 2011 auf eine Absperrung der Polizei zudrängen. Als die Menge nach heftigem Gerangel, bei dem Knaller und Holzlatten eingesetzt wurden, den Riegel überrennt, zeigt das Video einen großen Mann, der ein Megafon trägt.
Tim H. ist ein hoch aufgeschossener Mensch. Deshalb sah es das Amtsgericht Dresden im Januar 2013 als erwiesen an, dass der heute 38-jährige Berliner die Menge dirigiert und sich so eines »besonders schweren Falls« von Landfriedensbruch schuldig gemacht habe. Zudem soll er einen Polizisten als »Nazischwein« beleidigt haben. Der Familienvater wurde zu 22 Monaten Haft verurteilt – ohne Bewährung.
Videoaufnahmen, die den Durchbruch zeigen, wurden am gestrigen zweiten Tag der Berufungsverhandlung am Dresdner Landgericht erneut vorgeführt – in zweifacher Form. Zunächst nahm sich das Gericht das Video vor, das Polizisten der nach dem 19. Februar in Dresden eingerichteten SOKO 19/2 angefertigt hatten. Es zeigt nur einen Mann mit Megafon – und lässt erkennen, dass dieser das Schimpfwort, anders als von der Anklage unterstellt, nicht in Richtung des Beamten mit der Kamera äußert. Vielmehr gilt es einem Polizisten, der zuvor mit einem Schlagstock auf einen gestrauchelten Demonstranten eingeprügelt hatte.Danach begutachtete das Gericht eine zweite Fassung der Videoaufnahmen. Sie wurde von Tim H.s Verteidigern angefertigt und enthält Passagen, die im Polizeivideo fehlen. Mit hellen Kreisen unterlegt ist zunächst der bereits bekannte Megafonträger – danach allerdings noch ein zweiter, ein dritter und ein vierter.

…Tims Anwalt Ulrich von Klinggräff warf den Polizisten vielmehr eine »ganz deutlich manipulative Arbeit« vor: Man habe »zielgerichtet« Passagen ausgewählt, die sich auf eine Person konzentrierten. Dieser Vorwurf wurde erhärtet durch die Aussagen des ehemaligen Vizechefs der SOKO 19/2. Er sagte, die Bildbearbeiter hätten ihm im Oktober 2014 mitgeteilt, auf dem Video vier bis fünf Personen mit Megafon erkannt zu haben.

Dresdner Verhältnisse: Zum Skandalprozess um Tim H., 25.01.2013

Schon das erste Urteil gegen Tim H. hat für einen Aufschrei der Empörung gesorgt: Fast zwei Jahre Haft ohne Bewährung lautete das Urteil dafür, dass er bei einer Nazi-Demo in Dresden angeblich zum Durchbrechen einer Polizeiblockade aufgerufen haben soll. Konkrete Beweise dafür gab es indes nicht. Nun hat die Staatsanwaltschaft noch einmal nachgelegt: Sie will ein härteres Urteil. Welches Signal sendet das eigentlich aus?

…Er habe angeblich mit einem Megafon die Menschenmasse zum Durchbrechen einer Polizeisperre aufgerufen und die Aktion koordiniert – die Staatsanwaltschaft warf ihm Körperverletzung, besonders schweren Landfriedensbruch und Beleidigung vor. Und das Amtsgericht Dresden folgte dem. Tim H. wurde zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt.

Teilen auf:
Dieser Beitrag wurde unter Polizei, Staatsanwaltschaft veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.