Freispruch für Rechtsextreme – Sachsens Justiz in der Kritik, Überlastete Justiz als unhaltbarer Zustand, 23.10.2008

Freispruch für Rechtsextreme – Sachsens Justiz in der Kritik, DasErste Kontraste 23.10.2008, 21:45 Uhr

Sie übte in einer ganzen Region Terror aus: Die rechtsextremistische Vereinigung „Sturm 34“. Ihre Überfälle waren organisiert, ihr politisches Ziel war die Schaffung einer „national befreiten Zone“. Doch jetzt gab es Freisprüche von der Justiz: „Sturm 34“ sei keine kriminelle Vereinigung. Caroline Walter und Alexander Kobylinski über eine Justiz, die in die Kritik gerät.

Gerade erst sonnte sich Sachsen in der allgemeinem Aufmerksamkeit: Im schönen Dresden fand der Bildungsgipfel statt. Über ein anderes Thema spricht man in Sachsen dagegen lieber nicht so gern. Über Rechtsextreme. Sachsen ist nämlich Spitzenreiter in Ostdeutschland, wenn es um rechte Gewalttaten geht. Die Nazi-Szene organisiert sich im Freistaat immer besser. Stoppen könnte sie nur die Justiz. Aber in der sächsischen Justiz ist die Lage alles andere als gut. Caroline Walter und Alexander Kobylinski berichten.

Nächtlicher Terror im sächsischen Mittweida. Mitglieder der rechtsextremistischen Kameradschaft „Sturm 34“ ziehen durch die Stadt. Dieses Handyvideo haben sie ins Internet gestellt. Die Vereinigung „Sturm 34“ ist verboten, doch das stört die Nazis nicht.

Sie sind die führenden Köpfe der Gruppe. Jahrelang hat die Kameradschaft die Region um Mittweida terrorisiert – von Ausländern geführte Läden in Brand gesetzt und Andersdenkende überfallen.

Sturm 34 wurde wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Doch jetzt das überraschende Urteil der Staatsschutzkammer am Landgericht Dresden. Freisprüche: Sturm 34 sei keine kriminelle Vereinigung.

Verurteilt wurden lediglich Einzeltaten. Die rechtsextreme Gruppe als Ganzes ist davon gekommen. Die Begründung der Richter: es gebe keinen gemeinsamen Willen der Gruppe. Und das Gericht sah keinen festen Organisationsgrad bei deren Überfällen.

Die Opfer von Sturm 34 sind entsetzt über das Urteil. Alexander Friedrich hat einen brutalen Angriff der rechtsextremen Truppe miterlebt –der offenbar gut organisiert und geplant war. Das Dorf in der Nähe von Mittweida feierte gerade sein jährliches Fest, hier Aufnahmen davon, kurz vor dem Horror.

Alexander Friedrich
„Sie kamen von zwei Seiten, zeitlich, einheitlich gekleidet, Kahlköpfe, Handschuhe, und mit sofortiger Wirkung des Eintritts in das Zelt, sind die auf die alternativen Jugendlichen mit brutalster Gewalt nämlich mit Bierglas auf dem Kopf zerschlagend los gegangen und haben alles was rechts und links sich dort bewegte, niedergeschlagen, und sind dann mit dem Kommando ‚Geordneter Rückzug’ aus dem Saal raus und waren alle weg.“

Es gab mehrere Verletzte. Wie eine paramilitärische Einheit seien sie aufgetreten, erzählt Alexander Friedrich.

Bilder kurz nach der Gründung von Sturm 34. Benannt hat sich die Organisation nach einer sächsischen SA-Einheit im Dritten Reich.

Der harte Kern: 50 Neonazis, und 100 Sympathisanten. Ihr Ziel – die Region um Mittweida von allen Ausländern und Linken zu „säubern“ – mit Gewalt. Gezielt patrouillierten sie durch die nächtlichen Straßen, immer auf der Suche nach „Gegnern“.

Wir treffen einen jungen Mann. Er hat Angst offen zu reden. Seine rot gefärbten Haare reichten aus, dass er und sein Freund angegriffen wurden.

Opfer
„Wir hatten bloß kurz gehört, ‚Guck dir den an mit den roten Haaren’. Wir hatten uns nichts weiter gedacht. Daraufhin kamen 7, 8 Mann aus dem Haus gerannt, 4 zu mir, 4 zu dem Kumpel und haben uns da zusammengeschlagen mitten auf der Straße.“

Durch Tritte brachen sie ihm das Nasenbein, er hatte am ganzen Körper Prellungen.

Gezielt und gut organisiert waren viele Überfälle von Sturm 34.

Umso unverständlicher die Entscheidung der Staatsschutzkammer: Sturm 34 sei keine kriminelle Vereinigung. Dabei hat die Gewalt kein Ende, Übergriffe gibt es bis heute in der Region.

Auch die Staatsanwaltschaft kann das Urteil nicht nachvollziehen.

Jürgen Schär, Staatsanwaltschaft Dresden
„Wir meinen, dass hinreichend bewiesen ist, dass eine kriminelle Vereinigung vorliegt. Eine rechtsextremistische Kameradschaft verfügt natürlich nicht über ein hoch stehendes geistiges Gerüst, so ähnlich hatte sich die Kammer wohl ausgedrückt, dass das fehle. Ich denke aber, es reicht hin, wenn sich eine solche Organisation, eine solche Kameradschaft, einig ist im Willen, Gewalt gegen andere auszuüben. Das kann man aktiv tun, das kann man aber auch billigend in Kauf nehmen und sich arbeitsteilig anders an der Stärkung der Organisation beteiligen.“

Hätte das Gericht die Gruppe Sturm 34 als kriminelle Vereinigung verurteilt, hätte jedes Mitglied eine Strafe bekommen, egal welche Aufgabe der Einzelne hatte. Stattdessen Freispruch in Sachen krimineller Vereinigung. Ein fatales Signal an organisierte Rechtsextremisten.

Doch es gibt nicht nur Kritik an diesem Urteil der Dresdner Staatsschutzkammer. Ein Skandal ist auch, dass es oft Jahre dauert bis überhaupt ein Prozess stattfindet.

Die Kammer ist zuständig für schwere rechtsextreme Straftaten in Sachsen. Es gibt drei Richter an der Staatsschutzkammer. Diese haben aber nur die Hälfte ihrer Arbeitszeit für solche Prozesse zur Verfügung. Das Gericht ist überlastet. Prozessstau die Folge. 21 Verfahren sind noch in der Warteschleife.

Doch der zuständige Justizminister Gert Mackenroth redet die Lage in der Justiz immer wieder schön.

Geert Mackenroth (CDU), Justizminister Sachsen
„Ich kann nur generell sagen, dass die Staatsregierung und auch die sächsische Justiz mit Hochdruck und mit allem Nachdruck daran arbeiten, Rechtsextremismus und Gewalt zu verfolgen.“

Von wegen Nachdruck. Der Minister weiß anscheinend nicht, was in der Justiz los ist.

Das zeigt der Umgang mit der rechtsextremistischen Gruppe SSS, Skinheads Sächsische Schweiz. Auch sie hat eine ganze Region terrorisiert, vermeintlich linke Jugendliche wurden brutal überfallen, maskiert und mit Baseballschlägern. Die SSS–Mitglieder bildeten sich an der Waffe aus.

Systematisch erfassten die „Anführer“ Informationen über politisch Andersdenkende. Das hieß: „Zeckenerfassungsprogramm“. Eine detaillierte Liste von Opfern, die bedroht wurden.

Die SSS wurde zwar vor Jahren verboten. Doch sie missachtete das Verbot, und machte weiter. Regelmäßig fanden konspirative Treffen statt. Mit Zahlencodes wurden Treffpunkte ausgemacht. Wurde per SMS zum Beispiel 164 verschickt, hieß das, der Treffpunkt ist die Ruine in Gersdorf.

SSS-Mitglieder waren auch aktiv auf Nazi-Demos, und veranstalteten Strategietreffen.

Jahrelang hat die Staatsanwaltschaft Beweise gesammelt, wie die SSS gegen das Verbot verstoßen hat. Bereits vor drei Jahren wurden führende Mitglieder angeklagt. Doch die Dresdener Staatsschutzkammer hat den Beginn des Prozesses über Jahre verschleppt. Fast wäre die Anklage auch noch verjährt.

Statt verurteilt zu werden konnten die Rechtsextremisten bis heute unbehelligt weitermachen.

Wie er: Martin Schaffrath. Gerade kandidierte er für die NPD. Im Internet vertreibt er, was der Nazi so braucht. Rechtsextremistische CDs – wie Braune Brüder oder Division Germania – Hass schürender Lärm,und T-Shirts mit Ku-Klux-Klan-Werbung. Passend dazu Sturmhauben und Fahnen, Eins acht bedeutet Adolf Hitler.

Auch er konnte in den letzten Jahren ungestört weitermachen – Thomas Rackow. Er unterhält intensive Kontakte zur Neonazi-Szene in Schweden. Regelmäßig fährt er dorthin zu großen Nazitreffen.

Neben führenden schwedischen Nazis tritt auch er als Redner auf. Dabei hetzt er gegen die Demokratie. Rackow wurde angeklagt weil er die SSS fortgeführt habe. Da das Gericht aber seit Jahren den Prozess vor sich her geschoben hat, wird an Strafe nicht mehr viel herauskommen.

Jürgen Schär, Staatsanwaltschaft Dresden
„Das wirkt sich auf die Beurteilung der Schuld aus und damit auf das Strafmaß, das heißt, je länger die Tat zurückliegt, so sagt auch der Bundesgerichtshof, um so geringer ist die Schuld zu bemessen.“

Milde Strafen als Folge einer überlasteten Staatsschutzkammer.

Dass es zu wenig Richter am Landgericht gibt – dafür ist Justizminister Mackenroth verantwortlich. Für den grünen Landtagsabgeordneten Johannes Lichdi ist dieser Zustand in der sächsischen Justiz unhaltbar.

Johannes Lichdi (Bü90/Grüne), Landtagsabgeordneter Sachsen
„Ich halte es für einen Skandal, dass Justizminister Mackenroth seit Jahren diesen Zustand schleifen lässt, dass er nicht mehr Personal zuführt, und dass er damit billigend in Kauf nimmt, dass eben schwere rechtsextremistische Straftaten Straftaten eben nicht zeitnah verfolgt werden können. Ich glaube, es ist keinem zu vermitteln, warum der Staat hier nicht wirklich seine Möglichkeiten wirklich ausschöpft, um diesen Umtrieben Einhalt zu gebieten.“

Ein Interview mit KONTRASTE wurde vom Justizministerium abgelehnt.

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