Pressemitteilung der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh e.V., 03.01.2014
Generalbundesanwalt beanstandet die rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung durch
das Magdeburger Landgericht und spricht sich für die Aufhebung des Urteils im
Verfahren gegen Andreas Schubert aus .
Vor gut einem Jahr, am 13. Dezember 2012, hatte die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Magdeburg den angeklagten Dienstgruppenleiter Andreas Schubert im Fall Oury Jalloh wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen. Das Gericht verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 10.800 €, weil Schubert es unterlassen hatte, den vorgeschriebenen Richtervorbehalt bezüglich der Legitimation und der Dauer der Ingewahrsamnahme von Oury Jalloh einzuholen. Obwohl der Richtervorbehalt bei längerer Ingewahrsamnahme zwingend vorgeschrieben ist, wertete die Strafkammer Magdeburg den Rechtsbruch des damaligen Dienstgruppenleiters als einen “vorsatzausschliessenden Tatumstandsirrtum” und milderte auf diese Weise das Strafmaß des Angeklagten erheblich.
Sowohl Nebenklagevertretung als auch die Dessauer Staatsanwalt hatten in ihren Revisionsbegründungen ausführlich dargelegt, dass in diesem Fall nicht von einer Fahrlässigkeit des Andreas Schubert auszugehen ist. Vielmehr hätte das Landgericht Magdeburg zu dem Schluss kommen müssen, Schubert wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge schuldig zu sprechen.
Am 12. Dezember 2013 schloss sich nun auch der Generalbundesanwalt dieser Rechtsauffassung an. Er rügte die rechtliche Bewertung des Landgerichts Magdeburgs als gravierenden Fehler und erheblichen Revisionsgrund. Unter Einbeziehung einer ergänzenden Revisionsbegründung durch die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg
beantragte der Generalbundesanwalt bei der Vorsitzenden des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe einen Termin zur Hauptverhandlung gegen das Urteil des Magdeburger Landgerichts anzusetzen.
“Entscheidend für die strafrechtliche Bewertung”, so die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg, “ist, dass der Angeklagte Schubert bewußt auf die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung verzichtet hat.” Weiter heißt es, dass das Landgericht Magdeburg eine rechtswidrige vorsätzliche Freiheitsberaubung des Oury Jalloh
hätte bejahen müssen. Auch habe Schubert durch den Umstand der Freiheitsberaubung und einer damit einhergehenden Fixierung (ohne visuelle Überwachung) eine spezifische Gefahrenlage geschaffen, die letztlich dazu geführt hat, dass Oury Jalloh an Händen und Füssen gefesselt, hilflos in der Zelle 5 verbrannte.
Insbesondere als Dienstgruppenleiter hätte Andreas Schubert der zwingend vorgeschriebene Richtervorbehalt bekannt gewesen sein müssen. Wie sich jedoch im Zuge des Magdeburger Revisionsverfahrens herausgestellt hatte, gehörte es im Dessauer Polizeirevier seit 20 Jahren zur gängigen Praxis auf die Einholung eines Richtervorbehalts zu verzichten und stattdessen eigenmächtig über die Ingewahrsamnahme von Menschen zu entscheiden. So leicht wie es das Magdeburger Landgericht dem Angeklagten machen wollte, so schwer wiegen nun die Worte des Generalbundesanwaltes, der Schubert wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge verurteilt sehen möchte:
“Damit hat der Angeklagte das für freiheitsentziehende Maßnahmen gesetzlich vorgeschriebene Verfahren umgangen und sich kategorische Entscheidnugsbefugnisse angemaßt, die ausschliesslich einem Richter vorbehalten sind. Ein solches Handeln in offensichtlicher Unzuständigkeit unter gänzlicher Umgehung des gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Verfahrens stellt, zumal unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel, einen so fundamentalen Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze dar, dass eine rechtswidrige Freiheitsberaubung auch dann vorliegt, wenn an sich die sachlichen
Anordnungsvoraussetzungen gegeben waren.”
Dies wirft erneut viele Fragen bezüglich der jahrelangen Akzeptanz dieser rechtswidrigen Praxis innerhalb des Polizeiappartes insbesondere durch Dessauer Staatsanwälte und Richter auf. Diese haben die offensichtlichen Rechtsbrüche im Dessauer Polizeirevier scheinbar jahrelang ignoriert. Oder wie kann es sein, dass diese lebensbedrohliche Festnahmepraxis der Dessauer Polizeibeamten auch nach dem Tod des Mario Bichtemann, der in der gleichen Zelle wie Oury Jalloh im Jahr 2002 unter ebenfalls ungeklärten Umständen ums Leben kam, weder von den übergeordneten Instanzen hinterfragt geschweige denn rechtlich verfolgt wurde?
Es ist nun zu erwarten, dass der Bundesgerichtshof das Urteil des Magdeburger Landgerichts aufheben und es somit zu einer neuen Revsionsverhandlung gegen Andreas Schubert vor einem anderen Landgericht in Sachsen – Anhalt kommen wird. Allerdings wird es auch im neuen Verfahren nicht Ziel der Richter sein, die Todesumstände von Oury Jalloh aufzuklären. Der Antrag des Generalbundesanwaltes bezieht sich im Kern auf
den besagten Rechtsfehler des Magdeburger Landgerichts, Andreas Schubert lediglich wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen zu haben. An der mehr als fragwürdigen Selbstentzündungsthese und den ungeklärten Todesumständen von Oury Jalloh nehmen weder die Dessauer Staatsanwaltschaft, noch die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg Anstoß. Auch vom Generalbundesanwalt wurde äußerst zweifelhafte
Selbstenzündungshypothese nicht im Ansatz hinterfragt.
Am 12. November 2013 hatte die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh auf der Grundlage eines neuen Brandgutachtens und zahlreicher weiterer Indizien und Beweise beim Generalbundesanwalt Anzeige wegen Mord oder Totschlag gegen unbekannte Polizeibeamte gestellt. Die Initiative hatte einen Brandgutachter in Irland beauftragt, Brandursache und -verlauf zu rekonstruieren. Hierbei hatte sich herausgestellt, dass ein
vergleichbares Brandbild des Leichnahms von Oury Jalloh sowie der Matratze nur unter der Verwendung von 5 Litern Benzin erreicht werden konnte. Der Generalbundesanwalt hat bisher keine Stellungnahme zu dieser Anzeige abgegeben.
Am 7.1.2014 ruft die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh zusammen mit vielen anderen Unterstützergruppen zu einer Gedenkdemonstration anläßlich des 9. Todestages von Oury Jalloh in Dessau auf.