Handelsblatt: Das schmutzige Geschäft mit Pleiten in der Justiz
So auch in Magdeburg. In den 90er-Jahren ist dort von blühenden Landschaften noch nichts zu sehen. Im Gegenteil: Die Wiedervereinigung frisst gerade ihre Kinder. Reedereien, Konsumgenossenschaften oder Landmaschinenhersteller – Firmen gehen reihenweise in die Pleite. Beim jungen Insolvenzrichter Sven Ritoff stapeln sich die Fälle, er sucht Hilfe. „Ich wollte mich auf einen verlässlichen Stamm von Verwaltern stützen“, wird er sich später verteidigen.
Aus einer Freizeitbekanntschaft wird Männerfreundschaft und Vorteilsnahme.
Da lernt er Bernd W. kennen, einen bekannten Rechtsanwalt vor Ort. Die beiden verstehen sich auf Anhieb. Gemeinsam gehen sie joggen, aus einer Freizeitbekanntschaft wird Männerfreundschaft – und aus Verlässlichkeit am Ende Vorteilsnahme.
Obwohl die Kontakte bei Richterkollegen Anstoß erregen, schiebt Ritoff seinem Freund W. und dessen Partner bis 2006 wieder und wieder lukrative Pleiten zu. Teilweise sogar unter Umgehung der Zuständigkeiten bei Gericht. Die Verwalter verdienen gut daran: Allein drei der Verfahren bringen Honorare von knapp 400 000 Euro. Doch auch Ritoff profitiert. Mal erhält er aus der Konkursmasse zu verbilligten Konditionen einen Audi A3 für seine spätere Frau, mal ganz umsonst einen PC.
Erst eine anonyme Anzeige stoppt das Treiben. Ritoff, heute 47 und vom Dienst suspendiert, weint beim Prozess. Das Landgericht Dessau verurteilt ihn 2004 zu zehn Monaten Haft und W. zu fünf Monaten Arrest auf Bewährung. Zurzeit wird wieder einmal verhandelt. Dismal bis zum 29. September 2006 vor dem Landgericht Halle, nachdem der BGH das Dessauer Urteil aufgehoben hat.
Einzelfälle? Oder Beleg dafür, dass etwas faul ist im Geschäft mit den Pleiten? „Schwarze Schafe gibt es überall“, meint Michael Pluta. Er ist einer der Großen im Geschäft, der klassische Anwalt: Anfang 50, große Silberrandbrille, grauer Seitenscheitel. Seine Sozietät, erst kürzlich von einem Branchenmagazin zur Kanzlei des Jahres in Sachen Sanierung gewählt, ist zurzeit wieder in den Schlagzeilen. Sie verwaltet den Flugzeughersteller Avcraft. Pluta ist zufrieden mit sich – und dem System. Was Bestechlichkeit anbelangt, da werde übertrieben, sagt er. „Die Szene ist klein. Getrickse kommt schnell ans Licht.“
Andere sehen das freilich ganz anders. Szenekenner Kollbach beobachtet die Branche seit Jahren. Er sagt: „Vieles bleibt im Dunkeln.“ Ein Firmensanierer aus Nordrhein-Westfalen wird noch deutlicher. „Die Fälle in Mannheim und Magdeburg sind nur die Spitze des Eisbergs.“ Und der Rechtsanwalt aus einer großen Frankfurter Sozietät sagt: „Ich kenne Fälle, da hat der Richter zuerst die eigene Verwandtschaft als Referendare in Kanzleien untergebracht, denen er dann anschließend die Fälle rübergeschoben hat.“
Tatsächlich muss es ja nicht immer gleich Bestechung sein. Hier mal eine Einladung zum Essen, dort das Angebot, gegen Geld einen Vortrag zu halten: Selbst Richter bestätigen, dass die Palette unsittlicher, aber unverfänglicher Anträge groß ist. „Mir hat ein Verwalter mal von seinem Weingut in Frankreich vorgeschwärmt“, erzählt ein Richter aus Süddeutschland. „Dann hat er so nebenbei gefragt: ,Soll ich Ihnen ein paar Flaschen mitbringen?’“
Das System ist so blickdicht wie eine Damenstrumpfhose.
Der Richter hat angeblich abgelehnt. Doch hätte er es nicht getan, es wäre wahrscheinlich nicht aufgefallen. Denn das System der Verwalterbestellung ist so blickdicht wie eine Damenstrumpfhose. Richter entscheiden einsam und allein – und ohne Kontrolle.
Duisburg, Hamburg, jetzt Hannover – die Strafverfahren verteilen sich über die ganze Republik. In Hannover hat es soeben die Sozietät von Reinhard Mühl erwischt. 50 bis 60 Millionen Euro soll der bekannte Verwalter in Immobilienprojekte nach Ostdeutschland umgeleitet haben. Mühl hat sich vor kurzem selbst angezeigt.
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