Junge Richterin deckt Justizskandal auf, Betrug mit gefälschten Testamenten von Gerichtsmitarbeitern über Jahre, Südkurier Vorarlberg, 09.06.2010
Im zweiten Stock des Bezirksgerichtes von Dornbirn hat Richterin Isabelle Amann ihr Büro. Die 31-jährige schlanke Frau mit einem Madonnengesicht und dunklen Haaren wirkt nicht so, wie man sich eine Herrin über Recht und Gesetz vorstellt.
Deshalb dürfte der Geschäftsstellenleiter des Bezirksgerichtes Dornbirn Jürgen H. im Dezember 2007 ganz entspannt gewesen sein, als Amann eine ihrer ersten Richterstellen, nämlich die „Verlassenschaftsabteilung“ übernahm, wie man das Nachlassgericht in Österreich nennt. Schon viele Richter hatte der Rechtspfleger Jürgen H. kommen und gehen sehen, mit vielen hatte er gut zusammengearbeitet. So werde es auch mit Isabelle Amann sein, wird er gedacht haben.
Doch er täuschte sich; denn die junge Richterin deckte den größten Justizskandal der Geschichte Vorarlbergs auf: die Testamentsaffäre. Jürgen H. ist der Hauptbeschuldigte in dieser Affäre, einem Jahrzehnte währenden Komplott, das mehrere Gerichtsmitarbeiter und ihre Komplizen schmiedeten, um sich durch geschickte Testamentsfälschungen nachweisbar Nachlässe einsamer Menschen ohne direkte Erben zuzuschanzen.
„Schon im Frühjahr 2009 stieß ich auf Ungereimtheiten“, berichtet Amann heute. Sie habe das Testament einer alten Frau zu bearbeiten gehabt, die ein „riesiges“ Vermögen hinterlassen und als Erbin ihren Nachbarn und Betreuer eingesetzt hatte. Nach einem halben Jahr sei im Briefkasten eines Notars ein neues Testament derselben Frau gefunden worden, nach dem eine andere Person erben sollte, die unter Vormundschaft stand. Die im ersten Testament Begünstigten gingen auf die Barrikaden und wandten sich hilfesuchend an das Gericht, in diesem Fall an Isabelle Amann.
Doch die Richterin konnte vorerst nichts tun. Das zweite Testament lag maschinenschriftlich vor, war von drei Zeugen unterzeichnet und bestand die Echtheitsprüfung durch den Sachverständigen. Die Richterin musste es „mit großen Bauchschmerzen“ akzeptieren.
Doch der Fall ließ ihr keine Ruhe. Sie recherchierte und versuchte die Testaments-Zeugen anzurufen. Doch ohne Erfolg. Die unter Vormundschaft stehende erste Erbin starb kurz darauf und vererbte das inzwischen gewachsene Vermögen wiederum einer unter Vormundschaft stehenden Person. Entsetzt musste der Nachbar, der ursprünglich von der Verstorbenen als Erbe im Testament eingesetzt worden war, feststellen, dass ein Immobilienkaufmann namens Peter H. angeblich zu Lebzeiten der Erblasserin von ihr angeblich ein riesiges Grundstück geschenkt bekommen habe, wovon niemand etwas wusste. Zudem behauptete der Erbe, dass die Verstorbene diesen Immobilienkaufmann Peter H. nicht einmal gekannt habe.
Isabelle Amann begann, vorsichtig in Notariatskreisen herumzufragen, ob jemand den Immobilienkaufmann kannte, der in Salzburg, nicht in Dornbirn arbeitete. Und sie hatte Glück. Es gab Verbindungen zu anderen Fällen. Häufig erbte derselbe Immobilienkaufmann, obwohl keine Verbindung zu dem Verstorbenen zu erkennen war. „Als ich soweit war, habe ich es selbst mit der Angst zu tun bekommen“, sagt Amann. Der Schaden lag da schon bei mehr als zehn Millionen Euro.
„Ich habe dann die Akten bei Nacht und Nebel heimlich aus dem Gericht geschleust und mit niemandem darüber geredet. Zehn Akten habe ich zuhause nächtelang nach Parallelen durchsucht“. Auffällig war, dass in vielen Nachlassfällen dasselbe „Beuteschema“ erkennbar war: große Vermögen, keine direkten Nachkommen, drei Zeugenunterschriften unter einem maschinenschriftlichen Testament und immer derselbe Kommafehler. „In Richtung Bezirksgericht Dornbirn wies, dass immer dieselben Personen involviert waren“, so Amann. Am 5. März 2009 benachrichtigte sie die Staatsanwaltschaft in Feldkirch.
Das Landeskriminalamt ermittelte zunächst verdeckt. „Es war total schwierig, jemandem „Guten Morgen“ zu sagen, obwohl man wusste, dass er bald verhaftet wird“. Ein halbes Jahr lang musste Amann Akten sammeln und Kollegen bespitzeln, bis die Beweise für erste Verhaftungen reichten. „Ich wusste nie, wer gehört zu den Guten und wer zu den Bösen“, schildert die junge Frau.
Ein Gerichtsmitarbeiter und der Immobilienkaufmann sitzen in Untersuchungshaft, zwölf Personen stehen vor der Anklage. Auch die Vizepräsidentin des Landesgerichts Feldkirch steht unter Verdacht. …