Justizfehler: Leverkusener saß unschuldig in Haft, RP-Online, 01.03.2012
Das Schicksal hat es mit einem jungen Leverkusener selten gut gemeint: Die Hauptschule verließ er nach der neunten Klasse ohne Abschluss, schlug sich als Aushilfe durch, verdiente als “junger Mann zum Mitreisen” Geld, um seine drei Kinder zu ernähren. Von Martin Röse
Mit der Mutter der Kinder stritt er oft. Abends ging er in Kneipen, ertränkte seinen Kummer und kiffte.
Dann der Hoffnungsschimmer: Er bekommt eine Platz in einer Qualifizierungsmaßnahme der Arbeitsagentur. An der nimmt er teil, hat Hoffnung auf einen festen Job, ein regelmäßiges Einkommen.
Bis zum 6. Februar 2010: An dem Tag gingen zwei Frauen und ein Mann zur Kreispolizeibehörde an der Lindenstraße in Viersen. Sie erstatteten Anzeige gegen den Leverkusner, schilderten glaubhaft, dass der damals 27-Jährige einen schweren Raub verübt habe. Mit einem Revolver. Den habe er seinem Kumpel an den Kopf gehalten, so dicht, dass der im Patronenlager die Projektile habe erkennen können. Dann habe sich der Leverkusener ein Portemonnaie mit 1250 Euro gegriffen und sei abgehauen.
Den Kriminalbeamten erklärt der Leverkusener bei der Vernehmung, er habe keinen Raub begangen. Die vermeintlichen Opfer bleiben bei ihrer Aussage. Im Mai beantragt die Staatsanwaltschaft Haftbefehl. Am 5. Juni 2010 heißt es, der Leverkusener muss in Untersuchungshaft. Bis zum Prozessbeginn.
136 Tage sitzt der Mann in Haft, als der Verhandlungstermin ansteht. Die Hauptbelastungszeugen lassen sich entschuldigen – wegen Bauchschmerzen. Wieder muss der mittlerweile 28-Jährige ins Gefängnis. Beim nächsten Gerichtstermin bleiben die Hauptbelastungszeugen unentschuldigt fern. Wieder geht es zurück in Haft. Am 15. November wieder Gerichtstermin. Da er klärt die Schwester des angegriffenen Kumpels, sie habe keinen Revolver gesehen. Und in dem Portemonnaie seien nicht 1250 Euro gewesen, sondern vielleicht 20 oder 30. Der Richter setzt den Haftbefehl sofort außer Kraft.
Am 1. Februar 2011 wird der Leverkusener freigesprochen. Im Urteil wird festgesetzt, dass ihm wegen der “erlittenen Untersuchungshaft” eine Entschädigung zusteht. Der Tagessatz liegt unter 25 Euro. Das Geld hat er mehr als ein Jahr nach seinem Freispruch noch nicht erhalten. Gegen die drei vermeintlichen Opfer läuft bald das Gerichtsverfahren an.