Justizirrtum: Horst Arnold Herzversagen nach Justizversagen, Rechtsanwalt: Herr Arnold wird vom Land Hessen mit max. Schäbigkeit behandelt, 09.07.2012

Die Geschichte des Lehrers Horst Arnold, dessen Leben durch eine falsche Anschuldigung zerstört wurde. Zeit-online

Am Freitag letzter Woche, morgens um neun, fiel Horst Arnold in Völklingen von seinem Fahrrad und starb. 53 Jahre war er alt, Herzversagen. Doch es gibt eine zweite Todesursache: Horst Arnold starb, weil er vom Unrecht zermürbt war, weil der deutsche Staat, dem er als Lehrer gedient hatte, ihn psychisch und physisch zugrunde gerichtet hatte.

Sein Leiden beginnt im September 2001. Da stehen sechs Polizisten mit einem Haftbefehl vor der Tür. Arnold, damals 42 Jahre alt und geschieden, Gymnasiallehrer für Biologie und Sport an der Georg-August-Zinn-Schule im Odenwald, ist seit einigen Tagen vom Schuldienst suspendiert. »Wegen Beschwerden«, wie es heißt. Anfangs hatte sich Arnold nicht gewundert; er wusste um sein Alkoholproblem. Doch jetzt erfährt er: Die neue Kollegin Heidi K., Lehrerin für Biologie und Deutsch, beschuldigt ihn der Vergewaltigung.

Zunächst kann Arnold nicht glauben, was ihm geschieht, so hat er es später wieder und wieder erzählt: den Richtern, den Journalisten, den Fernsehmoderatoren. Es muss ein fürchterliches Missverständnis sein. Aber er kommt ins Gefängnis.

In den folgenden Wochen, Monaten, Jahren wird er das Opfer eines vermeidbaren Fehlurteils, gefällt vom Landgericht Darmstadt. Die Polizeibeamten, Staatsanwälte und Richter ignorieren – blind vor Mitleid mit einem vermeintlichen Opfer – wichtige Fakten und Beweise.

Die Staatsanwaltschaft Darmstadt sieht das Geschehen so: Horst Arnold soll am 28. August 2001 während der großen Pause der Kollegin Heidi K. im Biologievorbereitungsraum aufgelauert und sie dort im Stehen anal vergewaltigt haben. Dies hat Frau K. bei der Polizei ausgesagt. Unter Tränen wiederholt sie es in der Hauptverhandlung. Die ergreifende Darbietung überzeugt das Gericht. Niemand beachtet die Aussage der Gynäkologin, die das angebliche Opfer untersucht und keine Spuren gefunden hatte. Niemand wundert sich darüber, dass Frau K. nach der Vergewaltigung weiter unterrichtete und abends mit Kolleginnen feierte. Auch dass sie lügt, stört das Gericht nicht: Die Frau behauptet in der Verhandlung, Tage nach der Vergewaltigung von Arnold bedroht worden zu sein – zu einer Zeit, da dieser längst in Untersuchungshaft saß.

Fünf Verhandlungstage reichen, Horst Arnolds Leben zu zerstören. Die Richter verurteilen ihn zu fünf Jahren Haft. Höllenqualen, so erzählt er später bei Beckmann, habe er im Knast erlitten. Als Sexualstraftäter wird er im Gefängnis von Mithäftlingen verprügelt und gedemütigt, kommt zeitweise 23 Stunden in Isolationshaft. Seinen todkranken Vater darf er nicht einmal unter Aufsicht und in Handschellen besuchen, seine Liebesbeziehung zerbricht, die Frau wendet sich ab. Arnold erleidet einen stressbedingten Schlaganfall. Als er nach 1800 Tagen, nach Vollverbüßung seiner Strafe entlassen wird, ist er ein Wrack. Seinen Glauben an den Rechtsstaat hat er verloren wie sein Haus, seine Freunde, sein Vermögen. …

Doch nichts wird gut. Nach dem Freispruch behandelt das Land Hessen jenen Mann, der das Opfer von Inkompetenz und Einfalt seiner Behörden und Gerichte wurde, mit maximaler Schäbigkeit. Den von Anwalt Lierow im April 2012 gestellten Haftentschädigungsantrag hat die Justizverwaltung bis heute nicht bearbeitet.

Lierows Bemühungen, das Kultusministerium zu einer Wiedereinstellung des Freigesprochenen zu bewegen, bleiben erfolglos. Bis zu seinem Tod findet Arnold keinen Job, er muss bei seiner Mutter wohnen und von Hartz IV leben.

Auf Anfrage sagt die damals zuständige Kultusministerin Dorothea Henzler am Montag, Arnold sei »ein ganz normaler Fall« gewesen, er habe sich wie alle anderen bewerben müssen. Welch ein Hohn. Auch die Staatsanwaltschaft Darmstadt, der Arnold die Zerstörung seiner Existenz zu verdanken hat, lässt sich Zeit. Bis heute hat sie keine Anklage gegen Heidi K. erhoben, obwohl angeblich seit Anfang des Jahres 2008 gegen sie ermittelt wird.

»Vergangene Woche«, so lässt die Staatsanwaltschaft verlauten, sollten die Ermittlungen gegen Heidi K. abgeschlossen worden sein. Ob wegen Falschaussage und Freiheitsberaubung nun Anklage gegen die Frau erhoben wird und ob es jemals zum Prozess gegen sie kommt, das weiß man leider nicht. Schließlich sei der Hauptbelastungszeuge Horst Arnold ja nun tot.

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