Justizreform: Das Ende der Richter-Willkür?, Focus-online, 09.05.2011
Wer nach einem Urteilsspruch noch in die Berufungsinstanz gehen durfte und wer nicht, hing bisher vom Gerichtssitz und dem Gutdünken der Richter ab. Damit soll nun Schluss sein.
Selten gab es eine so breite Zustimmung zu einer kleinen aber bedeutsamen Justizreform: Alle Bundestagsfraktionen wollen mittlerweile den Bundesbürgern wieder mehr Gehör vor Gericht verschaffen und den so genannten Willkür-Paragraphen 522 in der Zivilprozessordnung ändern.
Dieser erlaubt es Richtern seit 2002, Berufung gegen ihre Urteile in der nächsten Gerichtsinstanz nach eigenem Ermessen zuzulassen oder abzuschmettern. Vor allem bei komplizierten Fällen – etwa zu Arzthaftung, Kapitalanlagebetrug oder Unfallschäden sowie bei Gutachterstreit – nutzten die Gerichte diese Möglichkeit.
Weite Teile von CDU und CSU favorisieren bisher nur leichte Korrekturen am Willkür-Paragraphen. Die anderen Parteien wollen ihn dagegen komplett streichen. Auch Bundesjustizminsiterin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) unterstützt nach FOCUS-Online-Informationen die komplette Abschaffung. Am Montag hatten im Vorfeld der Reform noch eine Reihe von Sachverständigen im Rahmen einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages das Wort .
Für das vorerst letzte Opfer deutscher Richter-Willkür käme jede Reform aber zu spät. Es handelt sich um eine Mutter mit vier Kindern, die nach einem grotesk verlaufenen Scheidungsverfahren mit vielen Pannen nun vor dem finanziellen Ruin steht und selbst ihr Haus zu verlieren droht. Richter des Oberlandesgerichts Bamberg hatten ihr den Weg in eine Berufung und somit die Chance auf ein gerechtes Urteil nach der Trennung von ihrem Ex-Mann mit Hinweis auf den Willkür-Paragraphen 522 verwehrt. Selbst das Bundesverfassungsgericht sah die Beschwerde darüber nach geltendem Recht als „unzulässig“ an.
Jeder Richter kann bereits im Vorfeld Hinweise gegenüber den Parteien erteilen oder Angaben zu seiner vorläufigen rechtlichen Einschätzung machen und daraufhin die Rücknahme der Berufung anregen. Dafür braucht es keine Möglichkeit für das Gericht, ein Rechtsmittel einstimmig zurückzuweisen.
Der § 522 schützte auch vor Kostenfallen. Hat die Berufung nach Meinung der Richter keinen Erfolg, konnten die Betroffenen diese Meinung berücksichtigen und ggfs. die Berufung zurücknehmen. D.h. Kosten konnten gespart werden. Diese Möglichkeit wird durch Wegfall dieses Paragrafen genommnen. Gewinner sind die Rechtsanwälte, nicht die Parteien..