Gesetze, so sollte man meinen, sind für alle Bürger verpflichtend, auch für Strafverfolger. Wenn Gesetze in strafrechtlich relevanter Weise verletzt werden, so zieht das Folgen nach sich, bei Verbrechenstatbeständen ist das zwingendes Recht.
Ob diese Grundsätze in einem Fall eingehalten wurde, über den der SPIEGEL in seiner aktuellen Printausgabe berichtet, darf bezweifelt werden. Da hat ein Oldenburger Oberstaatsanwalt das Gericht getäuscht und vielleicht – ein Schuft, wer Böses denkt – auch dazu beigetragen, das ein Zollbeamter eine Falschaussage gemacht hat. Passiert ist letztlich beiden nichts.
Was war geschehen? Die Verdener Staatsanwaltschaft hatte schon seit längerem gegen eine Bande ermittelt, die verdächtigt wurde, Kokain aus Sierra Leone nach Europa einzuschmuggeln. Im Rahmen der verdeckt geführten Ermittlungen war ein geplanter Drogentransport bekannt geworden, die Kripo wusste offensichtlich, in welchem Fahrzeug das Rauschgift auf der Autobahn A1 in Richtung Bremen gebracht werden sollte. Um nicht offenzulegen, wie man an die Erkenntnisse gekommen war, wurde eine Routinekontrolle inszeniert, in deren Rahmen sich ein Polizeifahrzeug vor das verdächtige Fahrzeug setzte und dieses auf eine Raststätte geleitete, wo neben weiteren Polizeibeamten auch der Zoll mit Rauschgiftspürhunden wartete. Die Hunde schlugen an, das Fahrzeug wurde in eine Werkstatt gebracht, wo man in einem Hohlraum 3 Kilo Kokain fand. Der Fahrer kam in Haft, die Staatsanwaltschaft Oldenburg, in deren Bezirk der Anhaltevorgang wohl erfolgt war, erhob Anklage wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln. (Die Menge von 3 Kilogramm legt nahe, dass auch wegen Handeltreibens oder Beihilfe dazu angeklagt wurde, aber dazu sagt der SPIEGEL-Beitrag nichts.) Da nicht offengelegt werden sollte, über welche Erkenntnisse die Strafverfolgungsbehörden verfügten, wurde in der Anklage jedenfalls auf den Tatbestand des bandenmäßigen Handeltreibens, welcher eine Mindeststrafe von 5 Jahren nach sich gezogen hätte, verzichtet.
In der Hauptverhandlung sagte ein an der Aktion beteiligter Zollbeamter wahrheitswidrig aus, dass es sich bei dem Anhaltevorgang um eine reine Routinekontrolle gehandelt habe. Der Angeklagte wurde letztlich zu einer sehr moderaten Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten verurteilt. Weil die Verteidigung Revision eingelegt hatte, wurde der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. Der nunmehr auf freiem Fuß befindliche Angeklagte nahm daraufhin nicht nur eine Arbeit, sondern auch den Drogenhandel wieder auf, was wenig später zu seiner erneuten Festnahme führte. Diesmal wurde bandenmäßiger Drogenhandel angeklagt, und in diesem Zusammenhang kam heraus, dass entsprechende Erkenntnisse auch schon im ersten Verfahren vorgelegen hatten. Der Verteidiger des Mannes erstatte daraufhin Strafanzeige wegen Rechtsbeugung gegen den Oldenburger Oberstaatsanwalt Rainer M. wegen Rechtsbeugung sowie gegen den Zollbeamten, der vor Gericht gelogen hatte, wegen uneidlicher Falschaussage. Sein Mandant sei zwar wegen der reduzierten Anklage recht günstig weggekommen, argumentierte der Kollege, aber bei korrekter Anklage hätte er sich möglicherweise als Kronzeuge zur Verfügung gestellt und dann vielleicht eine noch mildere Strafe bekommen. (Vor allem hätte er – falls er auch dann auf freien Fuß gekommen wäre – nicht mehr weitergemacht, könnte ich mir vorstellen, weil er dann ja gewusst hätte, über welche Erkenntnisse die Kripo verfügte.)
Mit den Ermittlungen gegen den Oldenburger Kollegen wurde die Osnabrücker Staatsanwaltschaft beauftragt, und die kam immerhin zu dem Ergebnis, dass der Tatbestand der Rechtsbeugung auch dadurch erfüllt werden könne, dass ein Staatsanwalt dem Gericht gezielt einen falschen oder unvollständigen Sachverhalt zur Entscheidung vorlege.
Aber, und das war die Brücke, die dem Kollegen gebaut wurde, Rainer M. sei nicht klar gewesen, dass “das Erheben einer unvollständigen Anklage rechtlich zu beanstanden war”. Na klar, logisch, warum sollte ein Oberstaatsanwalt auch so etwas wissen? Nun sagt ja der Volksmund – manch ein Richter greift dieses Sprichwort nach meiner Erfahrung gerne auf – das Unwissenheit nicht vor Strafe schützt. Anders aber im Falle des Oldenburger Juristen. Dieser habe sich, so die Osnabrücker Strafverfolgungsbehörde, nicht, wie es die Rechtsprechung für den Tatbestand des § 339 StGB verlange, “bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt”, deshalb bestehe letztlich kein hinreichender Tatverdacht einer Rechtsbeugung. Ergo wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Kollegen dann auch gem. § 170 Abs. StPO eingestellt. Eine Beschwerde des Anwalts des Drogenhändlers gegen diese Entscheidung blieb ohne Erfolg. Zwar habe – so die Generalstaatsanwaltschaft Osnabrück – der Oldenburger Oberstaatsanwalt ein objektiv-rechtlich falsche Güterabwägung vorgenommen. Diese stelle sich aber nicht als willkürlich und damit rechtsbeugend dar, zumal er sich ja zuvor mit seinem Verdener Kollegen über die Vorgehensweise eingehend beraten habe. Eijeijei, da fallen mir jetzt viele Dinge ein, die man zu einer solchen Argumentation vortragen könnte.
Ach ja, das Verfahren gegen den vor Gericht lügenden Zollbeamten wurde auch eingestellt. Wegen geringen Verschuldens. Ist ja klar, der wollte dem mauschelnden Oberstaatsanwalt ja schließlich nur helfen.