…Im deutschen Strafverfolgungswesen zählt die Münchener Causa zum Normalfall. Für 2010 zählte der Berliner Staatsrechtsprofessor Tobias Singelstein 2095 Staatsdiener in Deutschland, die sich der Körperverletzung im Amt verdächtig gemacht hätten. 86 von Ihnen seien im selben Jahr vor Gericht gekommen, lediglich 34 verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaften, denen Singelstein ein “erhebliches Näheverhältnis” zur Polizei attestiert, stellten 95 Prozent der Ermittlungsverfahren ein. Auch Amnesty International beklagt in einem mehr als hundertseitigen Bericht bei denen, die für Recht und Ordnung sorgen sollen, Verstösse gegen Grundrechte sowie ein Klima der Straflosigkeit. Bürger hingegen, die mit der Polizei in Konflikt geraten sind, müssen sich auf empfindliche Strafen einstellen.
…Eine lückenlose Aufklärung solcher Fälle gelingt selten. Oft, so beklagt der Rechtswissenschaftler Singelstein, scheiterte sie schon am System der Strafverfolgung in Deutschland. Schliesslich führe die Polizei die Ermittlungen ja gegen sich selbst. Und diese könne “faktisch über den Umfang und Itensität bei der Such nach Beweisen bestimmen”. Zudem führten Kameraderie, innerpolizeilicher Druck und Gruppenzwang zu einer “Mauer des Schweigens”. Singelstein lehrt Strafverfolgungsrecht an der FU Berlin und hat sich viel mit dem, wie er es nennt, “Korpsgeist” unter den Strafverfolgern beschäftigt. …Zudem geht Singelstein von einem großen Dunkelfeld bei Körperverletzungen im Amt aus. Viele kämen nie zur Anzeige, weil sofort Gegenanzeigen drohten, die häufig zur Verurteilung führten. Nicht selten würden dann noch Verfahren wegen falscher Verdächtigung nachgeschoben. Rechtsanwältin Angelika Lex kennt viele solcher Geschichten. …
…Der Müchener Rechtsanwalt Marco Noli hat einen solchen Einsatz jetzt bis vor das Bundesverfassungsgericht getragen. Die Staatsanwaltschaft stellte fest, dass “ohne rechtfertigenden Grund auf unbeteiligte Besucher” eingeschlagen worden war. Das Verfahren wurde dennoch eingestellt. Die Schläger in Uniform seien leider nicht zu identifizieren. Sicher ist, es gab Einsatzvideos an jenem Tag. Rechtsanwalt Noli hat sie sich angesehen. Aber er habe Lücken in den Prügelszenen erkannt. Einmal 16 Sekunden, einmal 62 Sekunden. Doch die Orginalbänder, hiess es bei der Polizei, seien verschwunden. Und Dateien die belegen könnten, wer Zugriff auf das Material hatte, seien ebenfalls weg. Das von Noli angeschobenene Verfahren wegen Verdachts auf Strafvereitelung im Amt wurde indes eingestellt.
…Das Spezialkommando drang in die Wohnung ein, legte den Jungen und dessen Eltern in Fesseln. Die von der Familie angestoßenen Ermittlungen gegen die Polizei wurde eingestellt. Stattdessen wurde der Vater, ein Hartz-IV-Empfänger, wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt zu 225 EUR Geldstrafe verurteilt. Als die Polizei seine Wohnung stürmte, hatte er laut Anwalt aus Unsicherheit die Hände nach vorn gestreckt. Der Vater ist blind.