Alexander Stevens vertritt Spanner, Vergewaltiger, Exhibitionisten. Der Münchner Anwalt für Sexualstrafrecht erklärt, warum Belästigung nicht strafbar ist und man besser auf schnellen Sex verzichtet.
Die Welt: Herr Stevens, Ihr Fachgebiet ist Sex. Wie kommen Sie zu dieser Spezialisierung?
Alexander Stevens: Ich hatte einen Fall, der mich sehr bewegte, weil ich der Überzeugung bin, dass mein Mandant zu Unrecht der Vergewaltigung schuldig gesprochen wurde. Zeugen hatten bestätigt, dass die Initiative, mit ihm nach Hause zu gehen, von ihr ausging. Im Taxi hatten sie wild rumgemacht, aber hinterher sagte die Frau, sie habe sich nur seine Wohnung anschauen wollen und sei dann von ihm vergewaltigt worden. Danach ging sie aber noch mit ihm auf den Balkon, um eine zu rauchen. Da hat nichts zusammengepasst.
Die Welt: Wie ist es ausgegangen?
Stevens: Letztlich stand Aussage gegen Aussage. Der Richter hätte ihn wohl freigesprochen, aber die Schöffen waren dagegen. Wir haben uns notgedrungen auf einen Teufelsdeal eingelassen: Er gab ein Zweckgeständnis ab und bekam dafür zwei Jahre auf Bewährung. Ich war damals noch recht unerfahren. An der Universität spielt Sexualstrafrecht keine Rolle.
…Die Welt: Einige Fälle, die Sie beschreiben, schafften es allerdings gar nicht erst vor Gericht. Was war mit „Lola stöhnt“?
Stevens: Es ging um einen Arbeitslosen, der behauptete, er bekäme obszöne Anrufe von einer Frau. Die Polizei konnte den Anschluss ermitteln, stellte allerdings fest, dass er einem hoch angesehenen Investmentbanker gehörte. Sie stellten die Ermittlungen ein, aber er blieb hartnäckig. Er wartete vor der Wache, und als wieder ein Anruf kam, stürzte er hinein und hielt den Beamten sein Handy hin. Daraufhin fuhren sie zu der Adresse des Investmentbankers. Die Polizisten ertappten ihn in einer Art Hundekäfig sitzend, nackt, mit einer Frauenperücke, Make-up und Damenstrümpfen.
Die Welt: Das hört sich nach einer lustigen Geschichte an.
Stevens: Na ja. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen eine Geldauflage eingestellt. Dabei wurde der Mann über Monate hinweg belästigt. Wenn das einer Frau passiert wäre, wäre wohl eher eine Freiheitsstrafe auf Bewährung dabei rausgekommen. Bei Gericht wird oft mit zweierlei Maß gemessen.
…Die Welt: Weil sich die Frauen inzwischen eher trauen, zur Polizei zu gehen?
Stevens: Einerseits, ja. Andererseits gibt es Einschätzungen, nach denen 50 Prozent der Vergewaltigungsanzeigen falsch sind. Das bayerische Kriminalamt hat in einer internen Studie seine Beamten befragt. Die sagen, dass sie davon ausgehen, dass etwa die Hälfte der Anzeigen nicht stimmen. Das heißt nicht unbedingt, dass alles erlogen ist, sondern, die rechtlichen Einschätzungen manchmal fehlerhaft sind. Etwa bei Fällen, in denen die Frau keine Lust auf Sex hatte, sich trotzdem hingab und im Nachhinein denkt, er hätte das merken sollen. Oder die Freundin sagt: „Der hat dich doch vergewaltigt.“ In vielen Fällen sind allerdings auch Rache, Eifersucht oder Zurückweisung Motive einer Falschanzeige.
Die Welt: Damit vertreten Sie keine sehr populäre Position.
Stevens: Ich habe kein Problem damit anzuecken. Ich höre so oft vorgefertigte Meinungen, gerade bei angeblichen Sexualstraftätern. Nehmen Sie den Fall Kachelmann. Egal, mit wem ich rede, jeder sagt, „da wird schon irgendwas dran gewesen sein“. Der hat aber einen glasklaren Freispruch bekommen. Bei einem solchen Vorwurf sind Sie immer der Verlierer.