Prozess gegen Anti-Nazi-Aktivisten: Der Wutpfarrer, von Julia Jüttner, Dresden
Der Prozess gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König wegen Landfriedensbruch gerät völlig zur Farce: Angebliche Beweise lösen sich in Luft auf, Protokolle entlastender Aussagen verschwinden auf ominöse Weise. König und seine Verteidiger stellen das Gericht bloß.
…Für einen wie König ist es selbstverständlich, dass er Jahr für Jahr um den 13. Februar nach Dresden fährt, um sich den Tausenden von Rechtsextremen in den Weg zu stellen. Bereits bei der ersten Mahnwache 1982 ist er aus Protest um die Frauenkirche gelaufen, den “staatstragenden Nazi-Akt unterbinden”, wie er sagt.
Doch wenn es nach der Staatsanwaltschaft Dresden geht, soll König dafür bestraft werden. Allein: Die angeblichen Beweise, auf die Staatsanwältin Ute Schmerler-Kreuzer ihre Anklage stützt, lösen sich zunehmend in Luft aus. So sitzt auch am Mittwoch, dem fünften Prozesstag, ein Polizeibeamter im Zeugenstand und bestätigt, was König seit Monaten gebetsmühlenartig behauptet: Der Pfarrer bremste den blauen Transporter mit Lautsprechern, den er lenkte, als eine Polizeikolonne an ihm vorbeisauste. “Er wollte uns nicht rammen, sonst hätte er nicht gebremst”, sagt Ronny V., stellvertretender Gruppenführer. Auch die folgenden Fahrzeuge habe König nicht blockiert. Der Pfarrer sei schätzungsweise 20 km/h gefahren, und sollte er “kurz nach links” gezogen sein, dann nicht weil er die Polizei-Karawane habe ausbremsen oder gar rammen wollte, sondern, so Ronny V., “weil er sich vielleicht erschrocken hat”.
Diesen Ablauf hat Gruppenführer V. dezidiert bei einer Vernehmung ausgesagt. Doch ein Protokoll der Befragung fehlt in der Hauptakte, wie sich am Mittwoch herausstellte – wieder einmal. Mehrfach ist die Verteidigung darauf gestoßen, dass entlastendes Beweismaterial schlichtweg nicht der Ermittlungsakte beigefügt wurde. Auch die Befragungsprotokolle zweier anderer Beamte, die den Pfarrer nicht belasten konnten, sind auf ominöse Weise “verschwunden”.
Und so bricht es am Mittwoch auch aus Pfarrer König heraus, er brüllt die Staatsanwältin an: “Für mich stehen vier Jahre auf dem Spiel und meine Berufskarriere! Und Sie lachen!” Schmerler-Kreuzers Grinsen verwandelt sich in einen Strichmund. Königs Verteidiger Johannes Eisenberg und Lea Voigt werfen ihr vor, “systematisch Ermittlungsergebnisse aus den Akten gelassen zu haben”. Der Vorsitzende Richter Ulrich Stein läutet eiligst eine Pause ein.
Doch die Gemüter beruhigen sich nicht. Wer nicht selbst dem grotesken Schauspiel in Saal A 2.133 des Amtsgerichts Dresden beiwohnt, würde es nicht für möglich halten. Spätestens die Videos von Polizei und Verteidigung, die am Dienstag gezeigt worden sind, widerlegen den Vorwurf, König habe mit seinem Bus in Nötigungsabsicht gehandelt oder Demonstranten zugerufen: “Deckt die Bullen mit Steinen zu!” Die Beweisaufnahme scheint geradezu sinnlos.
“Der Verdacht einer Straftat rückt in so weite Ferne, dass man nicht mal mehr von einem Anfangsverdacht reden kann”, bringt es Königs Verteidigerin Voigt vor Gericht auf den Punkt. Was soll denn überhaupt noch aufgeklärt werden? Ratlose Gesichter in Saal A 2.133.
Im Publikum sitzt Michael Lehmann, Personaldezernent und Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. “Seit der Wende ist Lothar König der erste evangelische Pfarrer, der vor Gericht steht”, sagt er. Lehmanns Anwesenheit bestätigt einmal mehr das Vertrauen der Kirche in König. “Er war zur betreffenden Zeit am fraglichen Ort”, räumt Lehmann ein, “aber wir wissen, dass Lothar König deeskaliert hat.” So wie Lothar König seit Jahrzehnten auf die Barrikaden geht – friedlich, gewaltfrei. …