Hunderte Menschen kommen jedes Jahr für Taten in Haft, die sie nicht begangen haben. Doch Hilfe können sie nach ihrer Freilassung nicht erwarten. Für das oft zerstörte Leben der Justizopfer hat der Staat nur 25 Euro Schadenersatz pro Gefängnistag übrig – und viele bürokratische Schikanen.
Für Wiedergutmachung ist es jetzt zu spät. Horst Arnold ist gestorben, auf der Straße umgefallen, Herzstillstand mit 53 Jahren. Als er starb, hatte Arnold fast elf Jahre Kampf hinter sich, fünf davon saß er unschuldig in Haft. Eine Kollegin hatte den Biologielehrer beschuldigt, sie in einer Schulpause vergewaltigt zu haben. Nach dem Gefängnis kämpfte er knapp sechs Jahre lang für seine Rehabilitation, um Schadensersatz und darum, sein Leben zurück zu bekommen.
Arnold hat immer wieder verloren, nie einen Cent Entschädigung gesehen, nie eine Entschuldigung gehört. Heidi K., die Frau, die ihn zu Unrecht beschuldigt hat, wird jetzt wegen Freiheitsberaubung angeklagt. Das gab die Staatsanwaltschaft Darmstadt am 10. Juli 2012 bekannt – zehn Jahre, nachdem das angebliche Opfer vor Gericht gegen Arnold ausgesagt hatte, und zwei Wochen nach Arnolds Tod. …
“Doch die Justizminister der Länder konnten sich zu mehr Geld nicht durchringen. Dabei zahlten sie 2011 nur etwa 1,2 Millionen Euro Entschädigung für mehr als 47.000 Tage, die Unschuldige in Haft verbrachten. Das ergab eine Umfrage der Süddeutschen Zeitung unter den Bundesländern, wobei drei Länder – Thüringen, Sachsen und Baden-Württemberg – keine Zahlen liefern konnten. Die Summe liegt also höher, frühere Schätzungen gehen von bundesweit 70 000 Hafttagen im Jahr aus. Das würde bedeuten, dass an jedem Tag durchschnittlich 192 Menschen für ein Vergehen in Haft oder Untersuchungshaft sitzen, das sie nicht begangen haben oder das ihnen nicht nachgewiesen werden konnte.” …
…Es nützt nichts: Trotz Freispruch soll keiner von ihnen eine Entschädigung für die Jahre im Gefängnis erhalten. Sie seien wegen ihrer falschen Aussagen selbst schuld an der Verurteilung, begründet das Landgericht Landshut. Beschwerden beim Oberlandesgericht München und beim Bundesverfassungsgericht bleiben erfolglos. Die Verteidiger bereiten jetzt eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor.
Falsche Geständnisse gibt es immer wieder, sagt der Strafrechtler Müller. Auch für Horst Arnold war es nicht leicht, nicht zu gestehen. Die erste Zeit der Haft verbrachte er in der Psychiatrie. Er wurde bedrängt, seine Schuld einzugestehen. Erst drohten die Psychologen mit Einzelhaft, dann köderten sie ihn mit Hafterleichterung und der Chance auf vorzeitige Entlassung, berichtet sein Anwalt. Am Ende verlegten sie ihn ins Gefängnis. Während geständige Täter oft vorzeitig entlassen werden, sitzt der unschuldige Arnold dort bis zum letzten Tag. Wenn er gestanden hätte, wäre er wohl nie freigesprochen worden. Andererseits: Auch der Freispruch hat ihm am Ende wenig geholfen.