Gesetzgebung, Unsinn im Strafgesetzbuch, zeit online, 25.03.2015
Ein Beispiel für missglückte Gesetzgebung und institutionalisierte Verantwortungslosigkeit – und ein Aufruf zur Reparatur
In der letzten Woche habe ich Ihnen ein paar Gedanken über das Entstehen von Strafgesetzen vorgetragen. Erfreulich viele haben sich dafür interessiert, obgleich das Thema auf Anhieb nicht eben prickelnd erscheint. Heute geht es nun um ein Musterbeispiel misslungener Gesetzgebung: den Paragrafen 297 des Strafgesetzbuchs.
Der Titel dieser Kolumne verheißt (oder droht vielmehr an), dass es mir um das “Recht” geht. Heute möchte ich Sie genau dahin mitnehmen: Zur Auslegung, Anwendung und Beurteilung von geschriebenem Recht. Ich weiß, dass das für den Ungeübten schwierig ist: Es erfordert Geduld und die Bereitschaft, einen Satz zweimal, im Einzelfall auch dreimal zu lesen. Ich würde mich aber freuen, wenn Sie dieses Maß an Anstrengung und Vertrauen aufbrächten. Denn erstens verspricht es neue Erkenntnisse und zweitens geht es um das Funktionieren der Rechtsordnung, die ja auch die Ihre sein soll.
Die Vorschrift des Paragrafen 297 StGB regelt die Strafbarkeit von “Schiffsgefährdung durch Bannware”. Seit 1871 war unter dieser Nummer Folgendes geregelt:
“Ein Reisender oder Schiffsmann, welcher ohne Vorwissen des Schiffers, ingleichen ein Schiffer, welcher ohne Vorwissen des Rheders Gegenstände an Bord nimmt, welche das Schiff oder die Ladung gefährden, indem sie die Beschlagnahme oder Einziehung des Schiffes oder der Ladung veranlassen können, wird mit Geldstrafe bis zu fünfhundert Thalern oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.”
Um Täter dieses Vergehens zu sein, musste man also “Schiffsmann”, “Schiffer”, oder “Reisender” sein – nach heutigem Sprachgebrauch also Mannschaftsmitglied, Kapitän oder Passagier. Der Täter musste die Gegenstände (mit sich) an Bord nehmen; das bloße An-Bord-Bringen (etwa durch Spediteure oder Schauerleute) reichte nicht aus. So blieb es lange Zeit. …