Die Sache ist schon ein paar Jahre her, aber nichtsdestotrotz eine rundherum amüsante Angelegenheit. Ausgangspunkt war ein Mandant, der etwas zu schnell und etwas zu dicht aufgefahren war. Dafür kassierte er satte 750€ Geldbuße und ebenso saftige drei Monate Fahrverbot. War alles gar nicht so, sagt der Mandant, also ziehen wir vor Gericht. Es folgte ein Verhandlungsmarathon:
Verhandlung 1: Für den Mandanten ist kein Dolmetscher da. Und schon ist Schluß.
Verhandlung 2: Diesmal kommt ein Dolmetscher. Und auch ein Sachverständiger, der aus Potsdam ins Sauerland reist. Außerdem reichlich Polizeizeugen und auch ein Video wird geschaut. Am Ende wird der Mandant trotzdem verurteilt. Zu 300€ plus drei Monaten Fahrverbot.
Zu dumm, dass der Richter in all dem Trubel vergessen hat festzustellen, wer das Auto überhaupt gefahren hat. Das rügen wir mit der Rechtsbeschwerde (das ist die Revision im Bußgeldverfahren) und gewinnen. Begründung: Der Richter hat Feststellungen zur Fahrereigenschaft nicht getroffen. Also muss alles wieder von vorne losgehen, aber wieder beim selben Richter.
Verhandlung 3: Die beginnt mit einem Befangenheitsantrag. Denn da die selbe Veranstaltung wieder durchgezogen wird und der Richter sich in dem strittigen Punkt (da ging es um die Verwertbarkeit der Messung dieses speziellen Messgeräts) schon festgelegt hat, wäre alles andere als eine Verurteilung eine Überraschung. Den ausführlichen Befangenheitsantrag lehnte der Richter gleich selber als unzulässig ab. Das darf er zwar nicht, tat es aber trotzdem und ich legte die Füße hoch, da die nächste Rechtsbeschwerde somit schon fast im Sack war. Wieder gab es reichlich Zeugen, ein Video und auch einen Sachverständigen aus Potsdam. Als mein Referendar und ich nach dem Plädoyer und vor der Urteilsbegründung vor die Tür traten, stellten wir fest, dass vor dem Saal eine dicke, rote Anzeige leuchtete “Nicht öffentliche Verhandlung”. Schnell abfotografiert, dem Referendar befohlen, sich das alles gut zu merken und wieder herein, um das Urteil abzuholen. Das war -wie schon gesagt- keine Überraschung: 300€ und drei Monate Fahrverbot. Nach dem Urteil und nachdem der Mandant schnell nach Hause musste, bin ich mit dem Referendar noch zum Richter und bat ihn um Protokollierung, dass es sich um eine nicht öffentliche Verhandlung gehandelt habe. Er schaute auf sein Mischpult und stellte dies nun auch fest, nicht ohne danach leicht wütende Anfeindungen in meine Richtung zu schmettern. Ich musste nun auch schnell nach Hause
Wieder gab es also die Rechtsbeschwerde und wieder wurde sie gewonnen. Die Entscheidung kann man u.a. hier nachlesen.
Vor der vierten Verhandlung stellte ich diesmal schriftlich meinen Befangenheitsantrag, da wieder der alte Richter entscheiden sollte. Und der hatte offenbar keinen Bock mehr auf mich, so dass dem Befangenheitsantrag stattgegeben wurde. Ein neuer Richter musste ran.
Verhandlung 4: Die fand nicht statt. Mir hat keiner gesagt, dass die Verhandlung aufgehoben wurde. Ich vermute eine Retourkutsche.
Verhandlung 5: Sie beginnt damit, dass ich gefragt werde, ob ich derjenige sei, der dafür gesorgt habe, dass sein Kollege auf Seite 1 der neuesten Ausgabe der VRS (Verkehrsrechts-Sammlung) erwähnt werde. Natürlich nicht namentlich, nur die Entscheidung des OLG Hamm sein Fehlurteil betreffend. Offenbar war dieser Umstand Gesprächsthema auf den Fluren des Amtsgerichts. Wieder gab es eine Menge Zeugen, ein Video und einen Sachverständigen aus Potsdam. Die Geldbuße wurde etwas reduziert auf 250 €, das Fahrverbot kam unter die Räder, da es nach solch langer Zeit keinen Sinn mehr mache. Immerhin. Die Reduzierung auf 250€ ist wohl am meisten dem Umstand geschuldet, dass bis zu dieser Summe ohne weiteres keine Rechtsbeschwerde mehr möglich ist, sondern nur ein fast aussichtsloses Zulassungsverfahren.
Dem Mandanten hat es aber das Fahrverbot gespart, mir hat es Spaß gemacht und dem Richter brachte es letztlich Ruhm und Ehre durch Erwähnung auf einer fachjuristischen Titelseite.