Vom Rechtsstaat vernichtet, blindes Vertrauen der Staatsanwaltschaft in die Ermittler, Unschuldsvermutung ist lächerliche Erfindung, 30.04.2013

Wer mit einem bestimmten Vorurteil an die Ermittlungen geht, kommt mit einem bestimmten Ergebnis aus diesen heraus. Das Vorurteil verhindert eine objektive Ermittlung, weil es für alles blind macht, was diesem widerspricht. Das ist dann nicht einmal ein bewusst falsches Ermitteln. Nein, die Ermittler kommen gar nicht dazu, die anderen Hinweise zu sehen, weil ihre Wahrnehmung einer bestimmten inneren Erwartungshaltung folgt.

Wir nehmen nur wahr, was wir wahrnehmen wollen. In diesem frühen Stadium eines Strafverfahrens ist eine frühe inhaltliche Beteiligung der Staatsanwaltschaft vonnöten, die aber häufig ihren erprobten Ermittlern von der Polizei allzu großes Vertrauen entgegenbringt. Aber auch der erfahrenste Ermittler kann mal daneben liegen.

Eine Möglichkeit, diesen Ermittlungspannen entgegenzuwirken, wäre eine Supervision der Ermittler. Wer glaubt, er könne als juristischer Laie auf eine Verteidigung verzichten, weil er ja unschuldig ist, produziert selbst eine Fehlerquelle. Das ist ein verdammt riskantes Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit der Justiz. So viel Naivität wird oft bestraft und hinterher ist das Gejammer groß. Eine qualifizierte Verteidigung ist immer noch das beste Mittel gegen ein Fehlurteil, wenn auch nicht zwingend erfolgreich.

Landet die Akte dann irgendwann bei der Staatsanwaltschaft, die ja der eigentliche Herr des Ermittlungsverfahrens ist, kann diese natürlich nur mit den Puzzleteilen hantieren, die die Polizei ihr in den Karton gelegt hat. Glücklicherweise gibt es Heerscharen von guten Staatsanwälten und Staatsanwältinnen, die die Ermittlungsfähigkeiten ihrer Hilfsbeamten, also der Kripo, durchaus kritisch beurteilen und die Akte mit weiteren Ermittlungsgesuchen erst mal wieder zurückschicken. Das klappt eben auch nur, wenn der „Denkfehler“ der Ermittler irgendwie greifbar aus der Akte hervorgeht. Manche Staatsanwälte vertrauen aber auch mehr oder weniger sehbehindert bis blind der Erfahrung der Ermittler oder haben einfach zu wenig Zeit, um jede Akte mit der erforderlichen Gründlichkeit zu studieren.

Personelle Unterbesetzung bei der Justiz – eine weitere Fehlerquelle. Kommt es zur Anklage, wird es für den Angeklagten schon einmal ungemütlich. Zwar gilt er aufgrund der Unschuldsvermutung bis zu seiner rechtskräftigen Verurteilung selbstverständlich als unschuldig, das hilft ihm aber wenig. Für bestimmte Presseorgane ist die Unschuldsvermutung eine lächerliche Erfindung von Gutmenschen, die sie nur daran hindern soll, ihre fantasievollen Spitznamen für den Angeklagten angemessen unter das Volk zu bringen.

Das dumme Gequatsche, wo Rauch ist, sei auch ein Feuer, scheinen viele zu glauben. Für manchen ist schon die Anklage und insbesondere deren öffentliche Verbreitung das Ende der bürgerlichen Existenz. Kachelmann ist da nur ein prominentes Beispiel. Da nützt am Ende der schönste Freispruch nicht mehr viel.

Bevor es zu einer Hauptverhandlung kommt, muss das Gericht die Anklage erst einmal zulassen. Dass das einmal nicht geschieht, ist eher selten, kommt aber vor. Vor einigen Monaten lehnte das Landgericht Aachen in einem Mordverfahren die Eröffnung ab. Der Beschuldigte war fünf Jahre lang als Mordverdächtiger den Ermittlungen und dem Mordverdacht ausgesetzt, die Verteidigung bekam erst nach drei Jahren Akteneinsicht, als er für eine Woche in U-Haft genommen wurde. Eine seltene Ausnahme. Normalerweise wird eröffnet.

Und dann kommt die Hauptverhandlung. Die Beweisaufnahme. Das Urteil. Bedauerlicherweise ist diese Urteilsfindung nun aber kein wissenschaftliches Verfahren mit sicheren Ergebnissen, sondern das Ergebnis einer menschlichen Überzeugungsbildung.

Merkwürdigerweise scheinen viele Richter der Meinung zu sein, sie seien tatsächlich in der Lage, die Wahrheit besser von der Unwahrheit unterscheiden zu können als andere Menschen. Vermutlich hilft so eine Selbstein- und -überschätzung sogar bei der Urteilsfindung. Weil die gerade aber nicht nur in Indizienprozessen eine äußerst schwierige Angelegenheit ist, gilt – auch ohne dass es ausdrücklich in der Strafprozessordnung stünde – der alte Rechtssatz „in dubio pro reo“, also „im Zweifel für den Angeklagten“. Es soll eben ohne vernünftige Zweifel feststehen, dass der Angeklagte schuldig ist. Damit der Zweifelssatz zum Zug kommen kann, muss der Richter sich überhaupt einmal zum Zweifeln durchringen. Manche scheinen nie zu zweifeln. Für Angeklagte und Verteidiger zum Verzweifeln.

Es geschieht nicht selten, dass Strafverfahren so ablaufen, dass man die Voreingenommenheit eines Richters geradezu körperlich spüren kann, auch wenn er formal leider keinen Anlass für einen Befangenheitsantrag liefert. Manche Richter sind so von sich selbst und ihrer vermeintlichen Unfehlbarkeit überzeugt, dass es schon einer guten Verteidigung bedarf, um überhaupt den Hauch von Zweifel in ihnen zu wecken. Die Art und Weise, wie Zeugen vernommen werden, wie insbesondere mit dem Angeklagten – für den ja immer noch die Unschuldsvermutung streitet – umgegangen wird, lässt meist schon nach kurzer Zeit erkennen, wohin die Reise geht. …

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