Im Jahr 2004 reichte Lisa Hase beim Landgericht Göttingen eine erste Klage auf Schadensersatz gegen mehrere Zahnärzte ein, vier Jahre darauf eine zweite. Die Verfahren sind bis heute nicht entschieden. Es geht um mutmaßliche Behandlungsfehler , Hase hatte Schmerzen, konnte nicht mehr arbeiten.
Mitten im Verfahren geschah das, was Lisa Hase für einen Skandal hält. Ende 2009 fasste die zuständige Kammer den Beschluss: Ein Psychiater solle untersuchen, ob die Klägerin überhaupt prozessfähig sei, sprich: ob da nicht eine geisteskranke Querulantin wirbelte.
Das hätte nie passieren dürfen, sagt Juraprofessor Martin Schwab von der Universität Bielefeld, der zu Fehlentscheidungen deutscher Gerichte forscht. “Der Beschluss für das Gutachten war klar rechtswidrig.” Es bleibe der Verdacht, “dass Frau Hase mundtot gemacht werden sollte”. Wer prozessunfähig ist, kann auch keine Klage durchfechten.
Belegen lassen sich die unterstellten Beweggründe nicht. Das Landgericht Göttingen wollte wegen der richterlichen Unabhängigkeit Fragen zum Fall nicht beantworten. Die Richter hielten 2009 in ihrem Beschluss fest, Hase habe elf Zahnärzte und eine Klinik verklagt, zwischen 2003 und 2005 insgesamt 30 Zahnärzte aufgesucht.
Bis 2006 sei sie in psychotherapeutischer Behandlung gewesen, habe lange Zeit starke Schmerzmittel konsumiert, einen Nervenzusammenbruch erlitten. Es lägen zwei psychotherapeutische Gutachten vor. All das sei “Indiz für eine Erkrankung”.
Juraprofessor Schwab hat den Beschluss der Göttinger Richter in einer umfangreichen Stellungnahme 2015 zerpflückt. Er weist daraufhin, dass eine psychiatrische Begutachtung einen Eingriff in Grundrechte darstellt und deshalb an rechtliche Anforderungen geknüpft ist. Im Fall Hase seien die vom Gericht aufgeführten Anhaltspunkte “nicht tragfähig” und stünden zum Teil “sogar im Widerspruch zur Aktenlage”.
…Zugleich attackiert Schwab das Oberlandesgericht Braunschweig. Dort war ein Befangenheitsantrag Hases gegen ihre Richter abgelehnt worden. Auch diese Entscheidung nennt Schwab “in krasser Weise fehlerhaft”.
Hase gelang es damals, den Plan der Göttinger Kammer mit einem Trick zu torpedieren. Als Frau vom Fach “habe ich besondere Voraussetzungen, mich zu wehren”, sagt sie. Sie beantragte Betreuung für sich beim Amtsgericht – in der Hoffnung, dass der Antrag nicht bewilligt würde. In einem solchen Verfahren, das wusste Hase, würde sie nicht der vorgesehene Gutachter untersuchen, von dem sie ein Gefälligkeitsgutachten im Sinne der Richter erwartete.
Und genauso kam es.
Eine Psychiaterin und ein städtischer Bediensteter stellten fest: Bis auf die Zähne sei Lisa Hase vollkommen gesund. Nun rückten die Richter im ursprünglichen Klageverfahren von ihrem Beweisbeschluss ab und verzichteten auf ein eigenes Gutachten.
…Lisa Hase weiß um die Probleme. Es geht ihr darum, dass der Fall nicht einfach unter den Tisch fällt. Anfang des Jahres bekam sie ein Schreiben aus dem Justizministerium. Darin heißt es: Man sehe keinen Anhaltspunkt für Rechtsmissbrauch der Richter. Dass die Kammer nach der abgelehnten Betreuung auf das ursprünglich geplante Gutachten verzichtet habe, “spricht doch gegen eine ( ) willkürliche Behandlung”.
Wenn Lisa Hase das liest, muss sie lachen. Es ist ein breites, offenes Lachen, trotz fehlender Zähne. Das Lachen hat Lisa Hase nicht verloren.