Der Schwabinger Kunstfund stürzt Justiz und Politik in ein täglich tiefer werdendes Dilemma. Womöglich kann die Augsburger Staatsanwaltschaft dem Kunsthändlersohn Cornelius Gurlitt keine Steuervergehen anlasten. Die Behörden streiten sich über die Verantwortung dafür, dass die beschlagnahmten 1406 Werke 20 Monate unter Verschluss blieben. Der Kunstkrimi hat sich in eine Posse verwandelt.
Seit mehr als einem Jahr wusste das bayerische Justizministerium bis in höchste Kreise hinein Bescheid über den Bilderfund. Die frühere Ressortchefin Beate Merk bestätigte das der Süddeutschen Zeitung. Zweimal – im April und im August 2012 – sei ihr Ministerbüro mit dem Fall befasst gewesen. Unverständlich: Der Ministerin wurde diese Information nicht weitergegeben. Sagt sie zumindest.
Auch der damalige Kunstminister Wolfgang Heubisch will seinerzeit von dem Fund „nicht den blassesten Schimmer gehabt“ haben. Erst aus den Medien habe er davon erfahren. Die Bayerische Staatsgemäldesammlung soll aber bereits bei der Beschlagnahmung der Werke Ende Februar/Anfang März 2013 eingeschaltet worden sein. Warum sie den Minister nicht informierte? Weil es geheißen habe, die weitere Forschung übernehme Berlin.
Vollends grotesk wird die Geschichte, wenn man sich ansieht, wie Bayern und Berlin versuchen, sich die Verantwortung zuzuschieben. Zuerst die Darstellung des Justizministeriums in München: Demnach soll auch das Berliner Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen mit dem Fall Gurlitt befasst sein. Das Amt, das zum Geschäftsbereich von Finanzminister Wolfgang Schäuble gehört, kümmert sich um die Rückgabe von Kulturgütern, die während der NS-Zeit ihren Besitzern abgepresst worden sein könnten. Bayerns Justizressort zufolge informierte die Staatsanwaltschaft Augsburg das Amt bereits während der Beschlagnahmung der Bilder telefonisch über den Fund. Auch danach habe es einen engen Kontakt gegeben. Diese Darstellung wies das Amt umgehend zurück. Man habe erst im November aus den Medien „von dem konkreten Ausmaß und den Hintergründen des Falles erfahren“.
Am 12. November hatten sich die Grünen im bayerischen Landtag mit einer Anfrage an die Staatsregierung gewandt. Sie wollten wissen, warum die Öffentlichkeit und mögliche Erben nicht früher über den Fund informiert wurden. Die Antwort der Ministerien für Justiz und für Bildung, Kultur, Wissenschaft und Kunst: „Grund für die bisherige Nichtveröffentlichung waren für die Staatsanwaltschaft kriminaltaktische Erwägungen, das Steuergeheimnis, die strafrechtliche Unschuldsvermutung und die zivilrechtliche Eigentumsvermutung zugunsten des Beschuldigten.“
Die Vorwürfe gegen Cornelius Gurlitt, er habe Steuern hinterzogen, werden sich kaum halten lassen. Gurlitt soll in Österreich für „bescheiden Einkünfte“ Steuern gezahlt haben. Damit wäre der deutsche Fiskus gar nicht zuständig. Gurlitt wird im österreichischen Melderegister mit Hauptwohnsitz Salzburg geführt. Gurlitt erhebt nun in einem Spiegel-Artikel schwere Vorwürfe gegen die Augsburger Staatsanwaltschaft. Er habe bisher weder eine Anklageschrift bekommen, noch habe der Staatsanwalt nach der ersten Vernehmung je wieder Kontakt mit ihm gesucht. Auch was mit den Bildern geschehe, werde ihm nicht mitgeteilt. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hält diese Kritik zum Teil für berechtigt. Sie räumt Versäumnisse ein. Das alles wirft ein schlechtes Licht auf die Ermittler.
Gurlitt erklärt in dem Spiegel-Artikel weiter, dass er keinen Anwalt habe. Er braucht keinen, glaubt er.