Zugang zum Recht – Ein internationaler Vergleich von Rechtsanwalt Prof. Dr. Benno Heussen, Berlin im Anwaltsblatt 12/2005 Seite 771
7.2 Prozesskostenhilfe, Beratungshilfe
Im Verhältnis zu den Rechtsschutzversichem hat der Staat für Prozesskostenhilfe im Jahr 2000 nur EUR 325 Millionen ausgegeben (also etwa nur ein Viertel), weitere EUR 64 Millionen für Pflichtverteidiger und EUR 25 Millionen für die Beratungshilfe.
Von diesen EUR 414 Millionen sind EUR 54 Millionen über Kostenerstattungen wieder an den Staat zurückgeflossen, so dass netto EUR 360 Millionen verblieben sind. Das sind nur 22,5 % der Aufwendungen, die man in England für den gleichen Zweck erbracht hat.
Der Grund: Auch im Legal Aids-System von England und Wales werden die Anwälte
im Stundenhonorar (wenn auch zu erheblich geminderten Sätzen) bezahlt und größere Büros nutzen das, um die jüngeren Leute an den „kleinen und hoffnungslosen Fällen“
ihr Metier lernen zu lassen. Die von Mathias Kilian erarbeitete Übersicht zeigt etwa folgendes Bild:
Land Gesamtaufwand Pro-Kopf-Aufwand/in Relation zur Bevölkerung
England/Wales 2.600.000,00 EUR 49,00 EUR
Schottland 2.007.000,00 EUR 40,00 EUR
Lichtenstein 1.050,00 EUR 32,00 EUR
Norwegen 75.000,00 EUR 16,80 EUR
Finnland 42.000,00 EUR 8,00 EUR
Dänemark 34.800,00 EUR 6,60 EUR
Deutschland 358.000,00 EUR 4,30 EUR
Österreich 24.700,00 EUR 3,00 EUR
Belgien 25.200,00 EUR 2,50 EUR
Schweden 19.100,00 EUR 2,10 EUR
Der große systematische Unterschied zwischen den angelsächsischen und den kemeuropäischen Rechtssystemen lässt keinen echten Vergleich zu. Trotzdem geben diese Zahlen gewisse Anhaltspunkte, vor allem dann, wenn man weiß, dass die ewige Klage unserer Justizminister über den Kostenaufwand im Justizwesen die reine Heuchelei ist:
Das Justizwesen kostet die Deutschen ungefähr soviel wie eine Packung Zigaretten pro Monat und dies auch nur deshalb, weil man die hohen Einnahmen durch Gerichtskosten in der Ziviljustiz mit den hohen Aufwendungen für Gefängnisse saldiert und sich dann beschwert, dass dabei rote Zahlen herauskommen.
6. Qualitätsmangel als Barriere vor dem Recht
Wer eine Anwaltszulassung hat, darf über Recht beraten und Recht durchsetzen, so wie er das für richtig hält. Das offenkundige Geheimnis des Marktes ist aber: Wie man
Recht wirksam durchsetzt, kann man nicht aus Büchern sondern nur aus der Erfahrung lernen – je nach Spezialisierungsgrad kann es bis zu 10 Jahre brauchen, bevor man
richtig Boden unter des Füssen hat. Erst dann hat man genug Fälle gesehen, um den Mandanten fundierte Prognosen zu geben und genügend Argumente, um von einem bestimmten Vorgehen zu- oder abzuraten.
Kein Chirurg wird Facharzt ohne einen entsprechend langen Operationskatalog und deshalb will ja auch jeder vom „Herrn Professor“ höchstpersönlich aufgeschnitten werden, bis dem die Hand so sichtbar zittert, dass er das selber merkt.
Jeder, dessen Gegner einen erfahrenen Spezialisten als Anwalt hat, will selbstverständlich, dass auch sein Anwalt über diese Erfahrung verfügt, weil er hofft, so sein Recht besser durchsetzen zu können. Die dahinter stehende Idee der Waffengleichheit im Prozess ist in einem, auf den ersten Blick absurd erscheinenden englischen Prozess behandelt worden, über den Christian Wolf uns berichtet:
Der nur durch einen „junior-counsel“ vertretene Kläger beantragte, dem Beklagten zu untersagen, sich durch einen „seniorcounsel“ vertreten zu lassen. Er wollte einen dümmeren
Kollegen auf der anderen Seite haben. Das Gericht hat sich ernsthaft mit dem Antrag beschäftigt und ihn mit guten Gründen abgelehnt. Es erwog aber immerhin, unerfahrenen
Anwälten längere Schriftsatzfristen zu geben. Die Entscheidung ist deshalb so interessant, weil sie die Behauptung, Anwälte verbürgten im Prinzip überall die gleiche Qualität
völlig zu Recht nicht ernst nimmt.