Zunehmende Gesinnungsjustiz – Opfer sind angewidert von der Justiz. Die juristischen Täter verfolgen entsetzt ihre Opfer

RA Dr. iur. Björn Clemens, Gesinnungsjustiz – Begriff und Erscheinung

In den letzten Jahren hat die Ideologisierung des Rechts in der Bundesrepublik Deutschland ein Ausmaß angenommen, bei dem man getrost von einer Tendenz zur Gesinnungsjustiz sprechen kann. Dieser Begriff löst bei den Opfern des dahinterstehenden Sachverhaltes regelmäßig Reaktionen der Angewidertheit aus.
Doch nicht nur bei den Opfern: auch die Täter geben sich in höchstem Maße entrüstetet, wenn man das Motiv ihrer Willkürhandlungen als das benennt, was es ist.

…Politische oder weltanschauliche Einflußnahme auf Recht und Justiz sind prinzipiell weniger überraschend, als es auf den erst en Blick erscheint. Denn geltendes Recht ist immer Ergebnis einer politischen und da mit weltanschaulichen Entscheidung.
Als solche drückt es mit innerer Notwend igkeit die ihr zugrundeliegende politische Haltung sowie den religiösen und kulturellen Hintergrund aus. Ob Handtaschendiebstahl hart oder weniger hart bestraft wird, die Konsumierung von Drogen „entkriminalisiert“ und damit gesellschaftsfähig gemacht wird, ob Homosexuelle heiraten dürfen oder nicht, ist immer nur vordergründig eine juristische Frage. Rechtsnormen verkörpern die Politik, die mit ihnen umgesetzt wird. Recht ist Politik. Besonders prägnant wurde das bei der Vernichtung der deutschen und der Schaffung der doppelten Staatsbürgerschaft im Jahre 1999.
Die Feststellung, daß in der bundesdeutschen Rechtsordnung politische Tendenzen aufscheinen, ist daher keine Besonderheit und führt auch nicht zwingend zur Illegitimität des Rechts. Ob diese weitere Voraussetzung gegeben ist, hängt davon ab, welchen Charakter sich der Staat selbst gibt. In einem Staat, der sich als religiös oder weltanschaulich fundiert versteht, muß die gesamte Staatsgewalt im Sinne dieser Anschauung handeln. Um einen solchen Staat handelte es sich im Falle des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, das sich als irdisches Gehäuse der Christenheit verstand.

Die ganze Geschichte dieses Reiches, die Italienpolitik der deutschen Könige, ihr Kampf um die römische Kaiserkrone und gegen das Papsttum sind nur aus diesem Selbstverständnis zu verstehen.
Ein solcher Staat würde sich selbst in Frage stellen, wenn seine Rechtsprechung die Ketzerei nicht verfolgte, bzw. dem christlichen Weltbild abträgliche Meinungen unbeanstandet ließe. Aus dem Blickwinkel einer solchen Ordnung ist der Begriff Gesinnungsjustiz daher ohne Aussagekraft. Gleiches gilt bei einem Staate wie der DDR, der sich dem Kommunismus verpflichtet fühlte.
Prinzipiell anders ist das in einem Staat, der sich wie die Bundesrepublik Deutschland mit dem Grundgesetz für das Prinzip der Rechtstaatlichkeit und der Rechtsgleichheit entschieden hat. In Artikel 3 GG heißt es, daß niemand aufgrund (u.a.) seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Hiermit wird für die Bundesrepublik Deutschland das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz festgeschrieben. Dieses Grundrecht müßte eigentlich Garant dafür sein, daß erstens keine Sondergesetze geschaffen werden und zweitens keine ungleiche Anwendung der allgemeinen Gesetze nach politischer Zuordnung des Rechtsunterworfenen stattfindet. Genau das ist aber zunehmend der Fall.

Rechtsanwendung – Gesinnungsjustiz
Auch auf der Ebene der Rechtsprechung bieten sich mannigfaltige Möglichkeiten zur Verfolgung oder Bevorzugung bestimmter Gesinnungen, und zwar auch ohne, daß es vom Gesetz angelegt wäre.
Hierfür bietet sich als erstes das allgemeine Strafrecht an, z.B. die Beleidigungsdelikte. Der Gemeinderat der Stadt Coburg erklärt per Beschluß einen im Ort ansässigen Verlag zur unerwünschten Einrichtung. Jemand erfährt das aus der Presse und verschickt an die Stadt des Geschehens eine e-mail, in der er zum Ausdruck bringt, daß dies seiner Ansicht nach Nazi-Methoden seien.
Vor Gericht gestellt wird nicht der jenseits aller kommunalrechtlichen Kompetenzen stehende und damit rechtswidrige Beschluß der Stadt, sondern der Bürger, der diesen Skandal rügt. Er wird verurteilt wegen Beleidigung.

Den umgekehrten Fall stellt eine Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft Chemnitz dar.
Ihr lag eine Strafanzeige des Landesvorsitzenden Sachsen der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen wegen Beleidigung zugrunde, der in einer örtlichen Zeitung als Neonazi gebrandmarkt worden war. Der Staatsanwalt schreibt dazu:„die hier verwendete Bezeichnung stellt also keine Beleidigung dar, sondern ordnet den Anzeigenerstatter lediglich einer Gruppe zu, der er tatsächlich angehört. Er ist als Landesvorsitzender der Jungen Landsmannschaft von Sachsen und Niederschlesien zweifelsohne als rechtsorientiert einzuordnen“.
Demnach ist der diffamierende Angriff auf eine Person, der ohne jeden sachlichen
Zusammenhang geschieht, eine legitime Gruppenbezeichnung, die Kritik hingegen
an einem rechtswidrigen Ausgrenzungsbeschluß durch ein Kommunalorgan eine
Beleidigung.
Ein weiteres Beispiel ist der Zigeunerjudenfall aus Kempten: In einer Pressemeldung
hatte der Kreisvorsitzende einer politischen Oppositionspartei das Kesseltreiben
gegen deren zurückliegenden Bundesparteitag 2000 zusammengefaßt und dabei
den seinerzeitigen stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrates der Juden, M.F.,
der später wegen Kokain- und Rotlichtgeschichten in die Schlagzeilen geriet, als
„Zigeunerjuden“ bezeichnet, der „wieder in gewohnter Weise sein Gift gegen die Repu
blikaner und alles wasdeutsch und rechts ist, ausspritzte.“
Nachdem der Beschuldigte zunächst vom

Amtsgericht einen Strafbefehl wegen Beleidigung erhalten hatte, wurde er in der Berufungsinstanz des Landgerichts Kempten freigesprochen.

Es vergingen keine zwei Stunden, bis die unberufensten Münder der Republik von der damaligen Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin bis hin zum bayerischen Innenminister Beckstein unter Verstoß gegen den in Art. 20 GG verorteten Grundsatz der Unabhängigkeit der Justiz einen Entrüstungssturm entfacht hatten, der seinesgleichen suchte. Das Revisionsgericht hob den Freispruch auf und verwies die Sache an eine andere
Kammer des Landgerichts zurück.
Erwartungsgemäß übte es sich in Gehorsam gegenüber der Politik und den Medien
und verurteilte den Kommunalpolitiker. In den Gründen seines Urteils findet sich
folgende bemerkenswerte Passage:
„In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, daß die Pressemeldung aus der Feder eines Mitglieds der Partei „Die Republikaner“ stammt….. auch weite Teile der Be

völkerung sehen die Republikaner als Partei mit rechtsextremer Zielsetzung an…. …Wenn ausgehend von dieser Situation ein Funktionär der REP den Stellv. Vorsitzenden des Zentralrats der Juden mit dem Zusatz Zigeunerjude bezeichnet, geht die Kammer davon aus, daß sich dem unbefangenen Leser durchaus der Eindruck aufdrängt, es werde auf Bewertungsmaßstäbe aus der Zeit des Nationalsozialismus zurückgegriffen.“

Anders ausgedrückt, wäre der Verfasser von der CDU gewesen, hätte eine andere
strafrechtliche Würdigung erfolgen müssen. Sowohl die (zweite) Revision, als auch
die Verfassungsbeschwerde blieben erfolglos, wobei sich das Revisionsgericht zu
der Äußerung verstieg, die Parteimitgliedschaft falle nicht in den Schutzbereich des
Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 GG, weil sie nicht Ausdruck der politischen Tätigkeit, sondern der sozialen Herkunft sei (sic!).
Aber nicht nur das Strafrecht wird zur Durchsetzung ideologischer Standpunkte mißbraucht. Auch das Verwaltungsrecht und selbst das Zivilrecht kommen dafür in
Betracht. In einer soldatenrechtlichen Entscheidung hat sich das Bundesverwaltungsgericht dazu hinreißen lassen, die Äußerung eines Zeitsoldaten,
er fände die Darstellung des deutschen Überfalls auf Polen nicht überzeugend, als
Dienstvergehen zu bewerten.

…Ein Endpunkt der Entwicklung ist nich t abzusehen. Im Jahre 2005 wurde mit Vehemenz daran gearbeitet, das Versammlungsrecht zu verschärfen, was ausdrücklich mit dem Kampf gegen rechts begründet wurde. Nach der Föderalismusreform des Jahres 2006 ist die diesbezügliche Gesetzgebungskompetenz in die Hoheit der Bundesländer übergegangen, was dazu führen dürfte, einen sich wechselseitig überbietenden Eifer der Gesinnungsapostel in den Parlamenten sich austoben zu sehen. Der Rechtsstaat weicht dem Gesinnungsstaat. Das ist nicht nur nicht hinnehmbares Unrecht, sondern Schlimmeres:
Von Berthold Brecht stammt der Satz:
„Wer die Wahrheit nicht kennt, ist nur ein Narr, wer sie aber kennt und eine Lüge nennt, ist ein Verbrecher.“

In diesem Sinne, nicht im formalrechtlichen Sinne des Strafgesetzbuches ist Gesinnungsjustiz in einem Rechtsstaat dasselbe wie die Abschaffung der Freiheit unter Berufung auf sie oder die Bekämpfung der Demokratie in ihrem eigenen Namen: ein grandioses Verbrechen!

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