EGMR: Rechtsanwalt muss es aushalten, auf einem Bewertungsportal als inkompetent bezeichnet zu werden
(24. 11.2015 Włodzimierz/Kucharczyk gegen Polen Appl. no 72966/13)
…Da sich Portalbetreiber weigerte, den Eintrag zu löschen, erstattete der Anwalt Strafanzeige wegen Verleumdung gegen den (unbekannten) Verfasser. Dieses Verfahren wurde eingestellt, weil der Portalbetreiber mitteilte, dass er die IP-Adresse der registrierten Nutzer nicht speichern konnte und so der Verfasser nicht ermittelt werden konnte.
In der Folge ging der Anwalt gegen den Portalbetreiber zivilgerichtlich vor, weil dieser durch die Weigerung, das Posting zu löschen, seinen beruflichen Ruf ruiniert und in seine Persönlichkeitsrechte eingegriffen habe. Dabei blieb der Anwalt in allen Instanzen erfolglos (unter anderem im Hinblick darauf, dass das Posting selbst nicht rechtswidrig war und der Portalbetreiber daher auch nach E-Commerce-Recht nicht zur Entfernung verpflichtet war). Der Oberste Gerichtshof führte auch eine Abwägung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung durch und hielt fest, dass der Anwalt einen Beruf mit öffentlichem Vertrauen ausübe und daher öffentliche Bewertung und Meinungen akzeptieren müsse. Das Posting sei auch nicht besonders herabwürdigend noch sei es im Tonfall aggressiv und es habe auch nicht darauf abgezielt, den Anwalt lächerlich zu machen oder seinen Ruf als Anwalt zu zerstören.
Der Anwalt wandte sich an den EGMR, wobei sein Beschwerdevorbringen – er stützte sich nämlich auf Art 6 und Art 10 EMRK – auch nicht gerade für eine besonders positive Beurteilung in der Anwaltsbewertung sprechen. Der EGMR bog das missglückte Vorbringen aber um und prüfte es richtig unter Art 8 EMRK.
– Anwaltsberuf als “profession ob public trust”
Die nationalen Gerichte hatten nicht festgestellt, ob der Anwalt etwa “public figures” vertreten hat oder sonst in aufsehenerregenden Fällen tätig war. Das hindert den EGMR aber nicht, da auch ein Anwalt ein unverzichtbares Element des Justizsystems ist und er einen Beruf öffentlichen Vertrauens ausübt. Die Öffentlichkeit hat daher ein Interesse an Kommentaren über die beruflichen Fähigkeiten eines Anwalts – und Anwälte müssen damit leben, dass sie von jedermann, mit dem sie beruflichen Kontakt hatten, beurteilt werden. …