Befangenheit, Gegen die Willkür des ungebührlichen Richters, zeit-online, 12.02.1960

Gegen Willkür des Richters, Der Angeklagte darf in manchen Fällen den Vorsitzenden ablehnen, zeit-online, 12.02.1960

Ungebühr vor Gericht wird mit geldlichen Ordnungsstrafen oder auch mit Haft geahndet. Der Richter entscheidet, was ungebührlich ist und wie die Strafe bemessen wird. Paradox mutet es jedoch an, wenn der Richter selber ungebührlich ist und dennoch die Macht hat, das Verhalten eines Bürgers vor Gericht als ungebührlich zu bestrafen. In solch einem traurigen Fall wird der dem richterlichen Schutz anvertraute Staatsbürger zu einem hilflosen Häufchen Unglück.

Er ist aber keinesfalls verloren. Das zeigt das kürzlich veröffentlichte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. 1. 1958 (4 StR 203/57 in NJW 1959 S. 55): Ein Angeklagter hatte von seinem guten Recht Gebrauch gemacht, über seine Tat zu schweigen. Nach dem Gesetz braucht er sich nicht zur Sache zu äußern, er darf dazu auch keinesfalls irgendwie gedrängt werden. Ob das zweckmäßig ist, steht allerdings auf einem ganz anderen Blatt.

Der Vorsitzende wurde im genannten Fall nicht nur ärgerlich, sondern er verhielt sich bedauerlich ungebührlich. Er griff den Angeklagten gleich zu Beginn der Verhandlung „in ungewöhnlich scharfer, teilweise sogar zynischer Weise“ an.

…Der Bundesgerichtshof erklärte die Zurückhaltung des Ablehnungsgesuchs für rechtswidrig, hob das Urteil deswegen auf und verwies das Verfahren an ein anderes Gericht, damit der Angeklagte nicht wieder vor dem befangenen und wahrlich ungebührlichen Richter stehen müsse. In der Strafsache wird das neue Gericht zwar offensichtlich zu dem gleichen Schuldspruch kommen müssen, weil die Untat des Angeklagten erwiesen ist. Der ungebührliche Richter hat dem Staat (tatsächlich den Steuerzahlern) jedoch erhebliche Unkosten verursacht und das Vertrauen zur Rechtspflege keineswegs gestärkt.

…Gegen eine ungebührliche Bestrafung eines Bürgers wegen Ungebühr vor Gericht hat sich auch das Oberlandesgericht Bremen im Beschluß vom 13. 11. 1958 (Ws 186/58 in NJW 1959 S. 61) dankenswert eingesetzt. Hier fühlte sich der rechtsschutzsuchende Bürger vom Richter „wie ein Schuljunge behandelt“ und bezeichnete den Richter als gegen ihn eingenommen.

Das ließ der Vorsitzende zu Protokoll nehmen und belegte den sich verteidigenden Mann wegen Ungebühr vor Gericht mit einer Ordnungsstrafe von 10,– DM, ersatzweise einen Tag Haft. Die Entscheidung des ungebührlichen Richters wurde aber aufgehoben, weil dem Betroffenen vor dem Erlaß einer Ordnungsstrafe rechtliches Gehör und somit Gelegenheit gegeben werden muß, zu dem beanstandeten Verhalten Stellung zu nehmen.

Mit der machtumwobenen Würde des Gerichts läßt es sich nicht vereinbaren, daß überempfindliche oder nervöse Richter sich gehen lassen und ihre Machtstellung – wenn auch unbewußt – mißbrauchen, um Parteien im Zivilprozeß oder Angeklagte im Strafverfahren einzuschüchtern. Unbeherrschte wie zur guten Verhandlungsführung unfähige Richter sollten mit anderen Aufgaben betraut werden, die weniger gefährlich sind.

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8 Antworten zu Befangenheit, Gegen die Willkür des ungebührlichen Richters, zeit-online, 12.02.1960

  1. Ernestine Brand sagt:

    Sehr geehrter Herr Rösler,
    vielen Dank für Ihren Beitrag.
    Leider habe ich auch diese Möglichkeit der Petition schon in Anspruch
    genommen, ohne Erfolg, aber ich werde es aber nochmal versuchen.
    Vielleicht habe ich nicht alle Erwägungen in Betracht gezogen.
    Ich wende mich auch noch an EmrG in Brüssel und versuche zu retten, was noch zu retten ist.
    Mfg
    E.Brand

  2. Markus Wolf sagt:

    Bei aller Kritik gegen die Justiz muss ich auch mal ein Beispiel bringen, wonach eine Angeklagte mehr oder weniger “ungebührlich” ist.

    Bitte lesen Sie den Artikel:

    “Berufungsverhandlung gegen das Skandalurteil für Lisa Gärtner”

    auf http://www.rf-news.de

    Die Funktionärin LISA GÄRTNER der “Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands”(MLPD), hatte in Bezug auf den Polizeichef DIRK LÖTHER die Frage aufgeworfen, ob Löther sich “durchgeknallt” verhalten habe?!
    Und die Verurteilung der Gärtnerin soll also ein Skandalurteil sein?
    Das sehe ich knallhart anders.
    “Durchgeknallt” heisst, “wahnsinnig”, “nicht mehr alle Tassen im Schrank” “unzurechnungsfähig”.
    Wer so etwas über eine andere Person sagt – ob diese Person nun Polizeichef, Putzfrau, Bundeskanzlerin oder Strassenkehrer ist – hat hierfür die BEWEISLAST, die angegriffene Person, hier Polizeichef Dirk Löther hat nicht die Beweislast des Gegenteils.
    Und da die MLPD-Funktionärin Lisa Gärtner nicht mal ansatzweise versucht hat, ihre Aussage “durchgeknallt” zu beweisen, ist Gärtner´s Aussage als “Unwahre Tatsachenbehauptung” im Sinne des Urteils BGH NJW 1997, 2513 aufzufassen.
    Nach diesem Urteil ist die Aufstellung und Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen vom Grundrecht der Meinungsfreiheit NICHT geschützt.

    Die Verurteilung der Lisa Gärtner durch Richter Keller, Amtsgericht Saalfeld, geschah demnach zu Recht.
    Man kann allenfalls darüber streiten, ob die Verurteilung zu lächerlichen 15 Tagessätzen nicht viel zu milde ist.

    Am morgigen Dienstag, 15. Oktober 2019, findt vor dem Landgericht Gera die Berufungsverhandlung gegen Gärtner statt.

    Wenn die Gärtnerin “freigesprochen” wird, dann begeht das Gericht eine strafbare RECHTSBEUGUNG gem. § 339 StGB, welche mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft wird und den Verlust des Richteramtes zur Folge hat.

  3. Markus Wolf sagt:

    Ich wurde schon mehrfach in meiner Eigenschaft als Prozessbeobachter von Richtern aus dem Gerichtssaal entfernt wegen einer unauffälligen Kopfbedeckung.
    Angeblich verstosse das gegen die “Würde” des Gerichts?!

    Ich muss, auch wenn viele das nicht hören wollen, noch einmal darauf verweisen, dass nicht ein einziger NS-Blutrichter nach 1945 zur Rechenschaft gezogen wurde, sondern diese wurden entweder in den bundesdeutschen “Rechtsstaat” übernommen oder mit hohen Pensionen in den Ruhestand geschickt.

    Der NS-Richter WILLI GEIGER wurde später Richter am Bundesverfassungsgericht.
    Gegen den Richter HANS JOACHIM REHSE wurde zwar ein Verfahren eingeleitet, Rehse wurde aber “freigesprochen”.
    Zur Begründung hiess es, der Volksgerichtshof sei ein ganz normales Gericht im Sinne des § 1 GVG gewesen und Rehse hätte kein “Unrechtsbewusstsein” gehabt.
    Einer der Richter, der Rehse “freisprach”, war der Richter EGBERT WEISS.
    Dieser Hohepriester der Gerechtigkeit lieferte eine weitere rechtsstaatliche Zirkusnummer:
    Er verurteilte den als APO-Clown bekannten FRITZ TEUFEL zu lebenslänglich.

    Die Liste liesse sich ins Unendliche fortsetzen.

    Alle diese Zirkusnummern verletzen also nicht die “Würde” derJustiz, aber eine unauffällige Kopfbedeckung???
    Ganz abgesehen davon, die Richter am Bundesverfassungsgericht tragen auch eine Kopfbedeckung und bis in die 1860er Jahre haben Richter grundsätzlich eine Kopfbedeckung (“Barrett”) getragen.
    Demnach haben die Richter ihre eigene Würde veretzt.

    Abschließend stelle ich fest:
    Wenn ein Richter sich über eine Kopfbedeckung mehr aufregt als über einen Mord oder eine Vergewaltigung, dann ist dieser Richter für mich krank.
    Im Falle des Bestreitens wird ein psychiatrisches Gutachten zum Beweis meiner These angeboten.

    • Markus Wolf sagt:

      Ich schreibe mir selber eine “Antwort” in Form eines “Nachtrages”:

      Ich verweise auf den bekannten Professor für Strafrecht INGO MÜLLER, Autor des Buches:

      “Furchtbare Juristen. Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz”

      Da heisst es gleich unter dem Kapitel: “Nacht- und Nebeljustiz”:

      “”…Im besetzten Belgien, Luxemburg, Elsass-Lothringen galt bereits das Tragen einer Baskenmütze als Beweis deutschfeindlicher Haltung…”

      Und da wollen bundesdeutsche RichterInnen immer noch behaupten, das Tragen einer Kopfbedeckung, insbesondere einer Schirmmütze verletze die “Würde” der bundesdeutschen Justiz???

      Ich habe den dumpfen Verdacht, dass es eher die Würde des Rechtsstaates verletzt, dass Kopfbedeckung tragende ProzessbeobachterInnen mit Repressalien belegt werden.

  4. Ernestine Brand sagt:

    Sehr geehrter Justizfreund,

    Ihr Bericht über die Befangenheit eines Richters, ist mir in zwei
    verschiedenen Verhandlungen passiert, mit verherrenden Folgen.
    Völlig zu Unrecht, geschweige sachlich geandet.
    Eine Mauschelei ohnesgleichens.
    Wie wehrt man sich dagegen bzw. welchen Kampf nimmt man
    auf, um Gerechtigkeit zu erlangen ?
    Wer hilft mir dabei, meine Finanzen sind dadurch ins unermessliche
    geschrumpft-

    Vielen Dank im Voraus
    E. Brand

    • Manfred Rösler sagt:

      Sehr geehrte Frau Ernestine Brand,
      wer kann Ihnen helfen? Sie können Ihren Fall dem Petitionsausschuss Ihres Landtages vorlegen und bitten, die offensichtlichen Misstände aufzuklären. (Das können Sie selbst, ohne einen Anwalt, schreiben.)

      Ich habe zum Thema Befangenheit von Richtern schon Kommentare, hier beim justizfreund, geschrieben. Diese könnten Ihnen auch helfen. Siehe meine Kommentare zu den Artikeln:

      “Staatsanwalt wegen Strafvereitelung und Rechtsbeugung auf der Anklagebank” oder

      “Richter am LG-Kassel können Befangenheitsanträge nicht erkennen” oder

      “Auricher Staatsanwalt fühlte sich überlastet”

      • Ernestine Brand sagt:

        Sehr geehrter Herr Rösler,
        lange Krankheit und Hoffnungslosigkeit wie Resignation
        machen mir (73) keinen Mut weiter zu kämpfen.
        Der Kläger hat inzwischen Zwangshypothek von 53.000 €
        in mein Grundbuch eintragen lassen. Hier gibt es kein Entrinnen mehr.
        Aber ich danke Ihnen trotzdem, dass Sie mir Ihre Hilfe angeboten haben, doch wie können Sie mir aus diesem Loch weiterhelfen ?
        Ich habe keine Mitteln mehr um eine Lösung zu finden,
        Nicht nur die Summe der Zwangshypothek belastet mich, sondern auch die hohen Ausgaben der RAte (alles nur Flaschen) und Gerichtskosten in Höhe von 36.000 €, die ich nur mit Fremdgeldern finanzieren konnte und bis an mein Lebensende zu tragen habe
        Auch für eine Berufung fehlten mir die Mitteln, denn keine Bank gab mir in meinem Alter weitere Kredite
        Ich habe keine Angst vor dem Tod, aber vor der Zukunft mit dem Wissen, dass Ungerechtigkeit die Oberhand hat

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