Der Spiegel 51/1960: Meineids-Delikte, Staatsanwalt Jörkas seine Mücken
“Es ist erschütternd, eine wie große Zahl von Meineids-Verfahren sich aus Eiden entwickeln, die … nur in Punkten falsch sind, auf die es nicht ankommt.”
Senatspräsident Sarstedt
Der Münchner Staatsanwalt Heinz Jörka, der eher durch Zufall denn durch Auslese anderthalb Jahre lang ein Prominenten-Sonderreferat ausfüllen durfte, erlebte am Dienstag vergangener Woche den Auftakt einer neuen Niederlage: In der Revisionsverhandlung gegen den von Jörka – wegen Meineids im Münchner Spielbankenprozeß – verfolgten Bundestagsabgeordneten und CSU-Generalsekretär Dr. jur. Friedrich Zimmermann beantragte der Bundesanwalt vor dem Bundesgerichtshof die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils in vollem Umfang, weil die Urteilsbegründung auf Rechtsfehlern beruhe.
Damit ist nun auch aus dem wahrscheinlich letzten Jörka-Elefanten eine Mücke geworden. (Jörka ist inzwischen Objekt eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungs- und eines von Parlamentariern initiierten Disziplinarverfahrens geworden.)
Das Resümee der Prominentenjägerei Jörkas: Die Ermittlungspraxis des 37jährigen Staatsanwalts hat dazu beigetragen, daß auf dem Gebiet der – ohnehin umstrittenen – Eidesdelikte eine erhebliche Rechtsunsicherheit entstanden ist, die nicht zuletzt auf der von Jörka und anderen Staatsanwälten praktizierten Übung beruht, Aussagen vor Gericht auf Tonbändern zu konservieren.
…Den Hauptgrund für diese dringende Verhaftung – Verdacht des Meineids im Spielbanken-Prozeß – ließ Jörka während seiner 14monatigen Untersuchung selbst fallen. Was Jörka sonst noch konstruierte, war so beschaffen, daß die Dritte Strafkammer des Landgerichts München den Jörka-Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnte.
Die nächste Jörka-Pirsch galt ausnahmsweise nicht der Verhaftung eines Eides-, sondern eines Ehebrechers. In intimen Angelegenheiten des damaligen Münchner Chefredakteurs Werner Friedmann entdeckte Jörka das Zuchthausdelikt der Unzucht mit Abhängigen. Während der Hauptverhandlung mußte er dann allerdings die Zuchthausanklage “mangels Beweises” fallenlassen.
…Wiederum erhielt Jörka vom Gericht eine gezielte Ohrfeige: Die Münchner Strafkammer sprach den Volljuristen Zimmermann wegen dieser Anklagepunkte, die ihn um seine Bundestags-Immunität gebracht hatten, frei; es verurteilte ihn aufgrund seiner anderen Aussage wegen “fahrlässigen Falscheides” zu vier Monaten Gefängnis. Die Revisionsverhandlung in Karlsruhe verlief in der letzten Woche so, daß die Münchner “Abendzeitung” glaubte, einen “Freispruch” prophezeien zu dürfen.
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Die Rechtsgelehrsamkeit, mit der Jörka die Taten seiner Opfer an den Normen des Strafgesetzbuches mißt, ist inzwischen so gerichtsnotorisch geworden, daß sich das Münchner Landgericht im nächsten Jörka-Fall zu einem ungewöhnlichen Schritt veranlaßt sah: Statt, wie Jörka beantragt hatte, gegen den Landtagsabgeordneten der Bayernpartei und Zeugen im Spielbankenprozeß, Ludwig Max Lallinger, das Hauptverfahren wegen des Jörka -Spezialdelikts – Meineid – zu eröffnen, gaben die Richter Jörkas Akten an die Staatsanwaltschaft “zur weiteren Ermittlung” zurück.
Jetzt erlaubte sich selbst der fromme “Münchner Merkur” die Frage, ob “der junge Staatsanwalt … sich nicht selbst in einen Sendungsglauben oder gar in eine Missionsidee hineingesteigert hatte, die ihm ab und zu den Blick für die Tatsachen, für die Maßstäbe und auch wohl für die Folgen seines Tuns trübten”.
Die korrekte rechtspflegerische Auffassung hat Senatspräsident Sarstedt vom Bundesgerichtshof in die Worte gefaßt: “… Staatsanwälte … sollten größte Aufmerksamkeit daran wenden, daß Menschen nicht vor den eigenen Schranken der Justiz, wo sie durch ihre Aussage einer Staatsbürgerpflicht genügen, unnötig in Schuld und Strafe geführt werden.”
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Bruns: Das Tonband-Protokoll “kann als Grundlage für Meineidsanzeigen benutzt und – womöglich nach langer Zeit – auch dazu mißbraucht werden. … Die praktische Erleichterung (durch Fixierung von Aussagen über nebensächliche, belanglose Dinge), jemanden böswillig als meineidig hinzustellen, wird sich möglicherweise als Anreiz zu gehässigen Strafanzeigen auswirken.”
Damit sind die Erlebnisse der Zeugen Berthold, Zimmermann und Lallinger exakt umschrieben, deren Aussagen im Spielbankenprozeß von Staatsanwalt Jörka heimlich auf Tonband genommen und alsdann nach Ungenauigkeiten durchsiebt wurden.
Andere Kulturstaaten wie England und Frankreich bestrafen seit langem falsche Aussagen nur, wenn sie eine richterliche Entscheidung beeinflussen können; unwesentliche Unwahrheiten bleiben im Unterschied zum deutschen Strafprozeß ungeahndet.
Dabei pflegen die Zeugenvernehmungen gerade im deutschen Strafverfahren ins Nebensächliche abzugleiten, weil nicht nur der prozeßleitende Vorsitzer, sondern Staatsanwalt, Angeklagter, Verteidiger und Geschworene berechtigt sind, den Zeugen zu befragen. Der deutsche Richter darf eine Frage nicht deshalb ablehnen, weil sie für die Entscheidung des Gerichts unerheblich ist.
… ja, es ist sogar nicht ausgeschlossen, daß ein Staatsanwalt, der auch in diesen Fällen bestrafen ‘will’, solche ‘Meineide’ über völlig belanglose Nebenfragen uneingeschränkt zur Verfolgung bringt …”
…Der sudeten-bayrische Katholik Jörka glaubt offensichtlich immer noch, Eidesdelikte würden mit Zuchthaus bedroht, weil der Schwörende eine höhere Macht anrufe und sich bei einer Lüge selbst verfluche. Dazu der Kölner Strafrechtskommentator Professor Lange: “Dieser Gedanke ist in der romantisch reaktionären Periode des 19. Jahrhunderts neu aufgelebt.”
Inzwischen freilich hat ein Strafsenat des Bundesgerichtshofs klargestellt: “Die Strafdrohungen aller Eidesdelikte dienen (allein) dem Schutz der Rechtspflege.”
Mit anderen Worten: Der Unrechtsgehalt der Aussagedelikte liegt nicht in einem Religionsverbrechen der Gotteslästerung (“Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe”), sondern – ganz weltlich – in der Gefährdung der Rechtspflege, die auf korrekte Zeugenaussagen als eines ihrer wichtigen Beweismittel angewiesen ist.